Politik

Westerwelle und der Igitt-Faktor

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Nun, wie ich gerade erfahre, sind die AKW´s jetzt abgedichtet. Die Technik hat uns wieder einmal vor den Folgen der Technik gerettet. Wie grandios. Gut – der Pazifik ist nuklear verseucht, aber wir haben doch schon Schlimmeres überstanden, oder? Auch in Libyen ist alles in Ordnung – wie bombadieren jetzt neben Zivilisten auch die Rebellen, so das uns niemand vorwerfen kann, wir als Nato seien parteiisch. Über die Wirtschaftskrise reden wir auch nicht mehr: die gibt es nicht, das ist so beschlossen. Jedenfalls gibt es die nicht in Deutschland, dem Land, das so locker nebenbei 391 Milliarden für die Eurorettung ausgeben kann.

Jetzt haben wir endlich mal wieder Zeit, uns den wichtigen Dingen des Lebens zuzuwenden: den Leiden des jungen Guido Westerwelle.  Nun – man kann ja sagen: das kommt davon, wenn man ständig über die spätrömische Dekadenz faselt. Römer bringen ihre Imperatoren gerne mal um … auch und gerade die Ziehsöhne von Imperatoren meucheln da gerne mal mit. Das gehört einfach zum guten Ton, einen Ton, den Westerwelle laut Spiegel schon kennt:

Westerwelle hatte völlig recht. Es geht nicht ohne Königsmord. Angela Merkel hat ihn vollzogen, als ihr Ziehvater Helmut Kohl nicht einsehen wollte, dass er als Ehrenvorsitzender nicht mehr tragbar ist. Westerwelle hat ihn vollzogen, auch wenn man Gerhardt sicher nicht als einen ausgesprochenen Förderer Westerwelles bezeichnen konnte. Adoptiert hatte er den quirligen Generalsekretär allemal.

Er kennt also das Prozedere ganz gut. Da wundert es schon, das er so unprofessionell emotional wird, wie der Express berichtet:

Für Westerwelle wurde es extrem emotional. 15 Minuten sprach er hinter verschlossenen Türen. Erst machte er noch Scherze. Dann, am Ende aber, konnte er seine Tränen kaum mehr zurückhalten.

Für Westerwelle könnte es bald noch bitterer kommen: Hochrangige FDP-Vertreter halten es für möglich, dass Rösler ihn noch vor der Bundestagswahl 2013 als Außenminister beerben möchte.

Westerwelle als Aussenminister beerben? Ich warte bis zum  heutigen Tage darauf, das der mal anfängt, als Aussenminister zu arbeiten und nicht nur den Posten dazu benutzt, seinen Sponsoren die Welt zu zeigen.

Aber trotz aller Kritik an der Person gefällt mir die ganze Aktion nicht. Vor etwas mehr als einem Jahr hat man Guido Westerwelle noch auf dem goldenen Tablett durch die FDP-Hochburgen gereicht, mit 15% hatte er die Partei nach jahrelanger Arbeit zu Wahlergebnissen geführt, die sensationell waren. Anderthalb Jahre später wirft man ihn in die Ecke und will ihn nie gekannt haben? Der Stern urteilt ähnlich verächtlich über das Spektakel bei der FDP:

Das ist ein Sieg der Strippenzieher und Postenhuber, die offenbar immer noch nicht erkannt haben, in welcher Existenzgefahr sich die FDP befindet. Die artig die Backen zusammenkneifen, wenn der Telefonterror der Wirtschaftsbosse nur massiv genug ist. Die dem Irrglauben anhängen, ihre Partei sei politisch allein wegenFukushima politisch implodiert.

Nun – die FDP ist sicher nicht wegen Fukushima implodiert. Aber wegen Westerwelle hatte sie ein Rekordergebnis eingefahren und mit Westerwelle hatte sie sich an Themen herangetraut, die notwendig und eigentlich schon „links“ waren. Die erste Partei, die sich öffentlich schriftlich dazu bekannt hatte, das Hartz IV „entwürdigend“ ist und durch ein Bürgergeld ersetzt werden sollte … einer Form der Grundsicherung, mit der die Partei „Die Linke“ noch ihre Probleme hat.

Dann wollte er die Atomwaffen aus Deutschland heraus haben, siehe Spiegel:

Guido Westerwelle nimmt das nächste Streitthema in Angriff: Gemeinsam mit europäischen Kollegen fordert der Außenminister in einem Brief an die Nato eine Diskussion über die Nuklearwaffen der Allianz. US-Chefdiplomatin Clinton hatte die Europäer gewarnt, die atomare Abschreckung in Frage zu stellen.

Eigentlich doch eine herrliche Vorlage, die FDP und ihren Superstar wieder einmal ins Spiel zu bringen. Die wollen nicht nur Atomkraftwerke stilllegen, die wollten sogar die Atombomben aus Deutschland herausholen. Doch statt diese Chance wahr zu nehmen, ermordet man lieber den König, „jagt ihn vom Hof“, siehe Süddeutsche Zeitung:

Am Ende musste er viel Häme über sich ergehen lassen. Parteifreunde aus dem Bundesvorstand sprachen gar vom Igitt-Faktor, den Westerwelle auslöse. Anständig ist das nicht, markiert aber symptomatisch den Anfang vom Ende einer schillernden Politikerkarriere. An diesem Sonntag erklärt Guido Westerwelle, der Ungeliebte, im Mai nicht erneut für das Amt des Parteivorsitzenden zu kandidieren.

Der „Igitt-Faktor“ … damit nähert man sich vielleicht schon eher einem Aspekt, der seltsamerweise überhaupt nicht erwähnt wird, wenn man über Westerwelles Abgang liest. Dabei war es doch klar, das jetzt etwas Besonderes passiert: wir bekommen einen SCHWULEN Aussenminister. Als kleine Hasskrähe für die Zahnarztpartei mag er ja gerade noch durchgehen, aber nun repräsentiert er DEUTSCHLAND im Ausland. Ob das gut geht?

Die Japaner zeigten sich schon irritiert, siehe short news:

Derzeit ist Außenminister Guido Westerwelle (FDP) auf Asienreise. Mit dabei: Sein Lebensgefährte Michael Mronz, über den die Japaner etwas irritiert waren.
Das japanische Außenministerium erklärte, dass in Japan Homosexualität nur in Künstlerkreisen akzeptiert ist, in Politik und Wirtschaft hingegen sei sie ein Tabu.

In Polen und Saudi-Arabien hat er laut Focus Glück gehabt:

Der polnische Präsident, einst Organisator von Anti-Schwulen-Demos in Warschau, empfing ihn demonstrativ freundlich. In der Vorbereitung seines Antrittsbesuchs auf der arabischen Halbinsel, so versichern die Beamten des Auswärtigen Amtes, hätten die Saudis das Thema nie angesprochen.

Wir sind ja eine liberale aufgeklärte Gesellschaft. Jedenfalls stellen wir uns gerne so dar. Die Japaner sehen sich selbst übrigens auch so. Die Betroffenen selber sehen uns anders, siehe Frankfurter Info:

Die gesellschaftliche Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Lebensweisen in Deutschland ist auch heute noch nicht selbstverständlich. Fast die Hälfte aller Deutschen lehnt laut einer repräsentativen Studie die Gleichberechtigung homosexueller Lebensweisen ab . Eine Psychiatrisierung und Diskriminierung von LSBT erfolgt aus der Mitte der Gesellschaft. Diese Haltungen haben historische Ursprünge und können nicht mal eben mit halbherzigen Umsetzungen von EU-Richtlinien oder medienwirksamen Phrasen aufgearbeitet werden. Dennoch wird Homophobie in den Medien und in der Politik oft nur als ein Thema für einige wenige gesellschaftliche Gruppierungen darunter überwiegend Migrant_innen dargestellt. Eine selbstkritische Auseinandersetzung der mehrheitsdeutschen Gesellschaft mit Homophobie und Transphobie findet selten statt.

Wieso sollte eine solche Auseinandersetzung auch stattfinden? Wir sind doch so liberal und tolerant, das uns die ganze Welt dafür lieb hat. Außer natürlich es geht um Fußball, siehe Tagesspiegel:

Verbandssprecherin Renate Rampf warnte am Freitag in einem Gespräch mit Tagesspiegel.de davor, dass die ohnehin „latent schwulenfeindliche Stimmung in Homophobie umschlagen“ könne. Sie nannte in diesem Zusammenhang auch die „offen schwulenfeindlichen Äußerungen“ des früheren Schalke-Managers Rudi Assauer („Wer sich als schwuler Fußballer outet, wird plattgemacht“) sowie die Missbrauchsdiskussion über angeblich schwule katholische Priester.

Man könnte auch mal schwule Lehrer befragen, wie deren Erfahrungen so aussehen. Oder besser nicht, denn der Spiegel hat schon darüber berichtet:

Die Ergebnisse sind erschreckend: Ein Drittel derjenigen, die sich in der Schule geoutet haben, erhielten „gemischte Reaktionen“ – sogar von Kollegen. Zwar berichtet nur eine Minderheit von ausdrücklich negativen Rückmeldungen. „Diese Fälle sind aber ziemlich bestürzend“, sagt Müller. Lehrer wurden beleidigt (acht Prozent), belästigt (vier Prozent) oder von Kollegen ausgeschlossen (15 Prozent). Einige berichten auch von Psychoterror, indem ihnen beispielsweise von Kollegen Affären mit Schülern angedichtet wurden, von Drohbriefen und Gewalt. Dabei geht die verbale, psychische und körperliche Gewalt meist von Schülern aus.

Diese Eindrücke passen nicht ganz zu jener ach so toleranten, menschenfreundlichen Gesellschaft grün gesinnter Umweltfreunde, deren Herzblut an der Rettung eines jeden Frosches hängt, die aber locker und ohne zu zögern ältere kranke Arbeitslose ins absolute soziale Abseits stoßen … und ihre Kinder gleich mit.

Wer glaubt, er könne in Deutschland das Feuer der Arbeitslosenhetze entfachen, ohne das gleichzeitig auch die Glut auf Juden, Ausländer und … Schwule überspringt, der hat sich halt getäuscht. Das Fremde, das Schwache, das Schutzbedürftige hat im neu aufkeimenden arischen Gutmenschentum kein hohes Ansehen, es verschmutzt den Volkskörper – es sei denn, es ist ein richtiges Tier, dann kann es auf halbwegs menschliche Behandlung hoffen. Hitler mochte auch Hunde gern, nur Juden konnte er nicht leiden. Oder Arbeitslose. Oder Schwule.

Westerwelle spricht so monoton und regungslos, wie man das zuletzt häufiger von ihm gesehen hat. Trocken betet er ein paar Zeilen herunter und starrt dabei ins Leere. Blickkontakt meidet er. Fragen lässt er nicht zu. Der Schritt falle ihm „sehr schwer“, rattert Westerwelle also vor sich hin. Schließlich sei er mit „viel Herzblut“ FDP-Chef gewesen.

So beschreibt die Zeit seinen Abgang.

Vielleicht den Abgang eines Menschen, der endlich verstanden hat, das schwul in diesem Land nicht geht. Sowas mögen wir hier nicht. Mochten wir noch nie. Wir reden nur nicht drüber.

Aber den „Igitt-Faktor“ kennen wir.

Wollen wir wirklich hoffen, das er nicht ausschlaggebend für die Anti-Westerwelle war.

Wollen wir auch hoffen, das es bald mal wieder Liberale gibt, die verstehen, das die Heimat der Liberalen gerade nicht die Arbeitslosenhatz ist, die verstehen, das der liberale Grundgedanke der Grundgedanke des gesamten demokratischen Konsens und der gesamten Aufklärung ist – und das ein Verrat an diesem Grundgedanken die Beendigung der Demokratie selbst bedeuten kann. Vielleicht haben die liberalen Königsmörder der FDP aber auch gerade diese Zeichen der Zeit erkannt … und versuchen sich anzupassen.

 

 



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