Politik

Wachstumsmarkt Deutschland: Armut, Asozialität und Adel im Aufwind – Leistung und Charakter eher nicht.

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Deutschland hat ja eigentlich keine Probleme. Deutschland geht es gut. Erst kürzlich wurde sogar öffentlich vom Amt für Armutsverwaltung bekannt gegeben, das 2010 eine Million Langzeitarbeitslose wieder einen Job bekommen haben. Wir jubelten mit. Heute legt die nächste Abteilung noch einmal eine andere Statistik nach, siehe Welt:

Die Zahl der Arbeitslosen geht deutlich zurück. Die Zahl der Hartz-IV-Empfänger sinkt dagegen nur minimal um knapp drei Prozent.

Wieso die Zahl der Langzeitarbeitslosen nicht stärker sinkt, wo doch eine Million von ihnen neue Jobs bekommen haben, kann nicht rational erklärt werden, hier stößt man an die Grenzen des Systems. „Geheimnis des Glaubens“, so heißt das bei der katholischen Kirche, wenn der Verstand die Lehrsätze nicht mehr nachvollziehen kann.

Auf jeden Fall können wir hoffnungsvoll in die Zukunft schauen, so wollen die Konzernmedien uns jedenfalls noch eine Weile lang sehen, denn solange das System noch läuft, solange kann „abgegriffen werden“. Und wenn der große Knall erstmal kommt, dann kann man gar nicht genug haben: Geld, Gold, Öl … das braucht man schon, um über die Runden zu kommen. Hat man das nicht, drohen amerikanische Verhältnisse … eine Metapher, die bald eine ganz andere Bedeutung bekommen kann, siehe Zeit:

Wenn der Kongress nicht bis spätestens Freitag einen Kompromiss im Budgetkonflikt erzielt, dann müssen zahlreiche Behörden schließen und Millionen Staatsbedienstete zuhause bleiben. Kriegsveteranen und Rentner bekommen keine Zahlungen mehr.

So sieht Staatspleite dann praktisch aus. Die Rathäuser sind zu. Ruft man bei der Polizei an, um zu fragen, was los ist, kommt der Anrufbeantworter. Kommen dann die ersten Notfälle für die Feuerwehr herein, landet man … bei der Polizei, siehe dort. Will man sich bei den Ländern oder beim Bund melden, wird man zur Feuerwehr umgeleitet … weiteres siehe dort. Am Monatsanfang wird das Geld knapp, weil keinerlei staatliche Zahlungen mehr eintreffen – ja, liebe Besserverdienende, auch das Kindergeld nicht. Dafür ruft die Oma an und will was geliehen haben: die Auszahlungen der Renten und Pensionen wird dann ebenfalls gestoppt. Aber auch Subventionen fließen dann nicht mehr, ebenso die ach so lieb gewonnenen Bauaufträge für den Mittelstand.

Um solche Entwicklungen zu vermeiden, greifen die verrohten Sozialbarbaren des Mittelstandes gerne auch zu äußerst asozialen Mitteln wie dem Abbau der Gesundheitsversorge für Rentner, siehe Zeit:

Es geht also vor allem um teure staatliche Wohlfahrtsprogramme, auf die Bürger einen Rechtsanspruch haben – und dabei in erster Linie um Medicare und Medicaid, die Krankenversicherungen für Pensionäre, für Behinderte und für Arme.

Sie schlucken einen immer größer werdenden Teil des Bundeshaushalts, weil Amerikas Gesundheitsversorgung sowieso schon die teuerste der Welt ist und auch hier – wie in Europa – die Bevölkerung im Durchschnitt immer älter wird. Laut Voraussagen werden sich diese Kosten innerhalb der nächsten zehn Jahre fast verdoppeln. Senken kann man sie nicht einfach mit dem Rotstift. Sondern nur, wenn man zuvor die Ansprüche, also die gesetzliche Grundlage ändert. Indem man zum Beispiel das Rentenalter heraufsetzt, bestimmte Leistungen im Katalog streicht. Oder indem man, wie es einige Republikaner vorschlagen, das staatliche Wohlfahrtssystem privatisiert.

Man kann es auch in einfachen Worten sagen: unser Gesellschaftssystem hat kein Platz mehr für alte und kranke Menschen. Uns wäre es in unserer Gesamtheit lieber, es gäbe sie gar nicht, diese alten und kranken Dinge. Die kosten nur und bringen nichts. Das die früher mal was geleistet haben, ist ein Faktor, der heute nicht mehr so zählt, denn „Leistung“ ist ein Wirklichkeit kein Begriff der Marktwirtschaft, auch wenn man sich gerne mit ihm schmückt, siehe Zeit:

Sie ist in der freien Marktwirtschaft nicht entscheidend. Auf dem Markt bestimmen Angebot und Nachfrage den Preis, nicht die Leistung, die jeder erbringt. Ich halte das übrigens nicht für eine Ungerechtigkeit. Im Gegenteil: Es ist das Gute am Markt, dass die Bedürfnisse der Kunden der entscheidende Faktor sind. Aber dann kann man eben nicht davon sprechen, dass es die Leistung allein ist, die über die Höhe der Einkommen entscheidet. Und es bedeutet eben auch, dass es eine gute Begründung für eine Umverteilungspolitik gibt.

Hier spielt viel Glück eine Rolle, wie der Philosoph Gosepath am Beispiel eines Sandsackproduzenten ausführt: gestern noch fast pleite, ist man heute Millionär – nicht dank Leistung, sondern dank Oderhochwasser.

Solche einfachen aber trotzdem überzeugenden Erkenntnisse halte natürlich andere nicht davon ab, trotzdem den Typus des erfolgreichen Leistungsträgers zu beschwören, wie es der Spiegel aktuell gerade macht:

Melanie Kramer, Soziologin in Potsdam, hat die Daten ausgewertet und fasst die Charaktermerkmale der Reichen so zusammen: „Sie sind weniger neurotisch, also psychisch und emotional stabiler. Außerdem sind sie häufiger extravertiert, sie sind gesellig und gern unter Menschen. Vermögende sind wesentlich offener für neue Erfahrungen, wissbegierig und tolerant. Dagegen sind sie weniger verträglich und scheuen keine Konflikte.“

Sind sie nicht toll, diese Reichen? Sind es nicht wahre Herrenmenschen, die aufgrund ihrer vorzüglichen Charaktereigenschaften zum Führertum geboren worden sind? Während hingegen doch der Arme mit seinen Neurosen, seinem ewigen Geheule und Gejammere, seiner angepaßten Zurückgezogenheit sich eher zum Herdentier eignet, wie uns nach kurzer Überlegung eigentlich plausibel ist.

Und das Schöne ist: der Adel hatte Recht! Erfolgreiche adelige Charaktereigenschaften vererben sich in der Tat:

Doch auch bei reichen Erben zeigen sich in signifikanter Weise die von Kramer genannten Charakterausprägungen. Diese Oberschichtssprösslinge können nicht aufgrund ihrer Charaktereigenschaften reich geworden sein – sie wurden ja bereits reich geboren. Hier funktioniert der Mechanismus offenbar in umgekehrter Richtung: In einem Oberschicht-Elternhaus aufzuwachsen, fördert bestimmte Charaktermerkmale.

Die sind nicht nur psychisch eindeutig überlegen, diese Reichen, die können auch noch ganze Dynastien von psychisch überlegenen Herrenmenschen gründen, die einfach zum herrschen geboren worden sind. Hätten wir das vorher gewußt, hätten wir den Guttenberg …. ach, lassen wir das. Was uns aber sofort klar sein dürfte: diese edlen Gene dürfen niemals in Gefahr gebracht werden, erst recht nicht durch überbordende Sozialstaatsansprüche.  Wie in jeder Herde, müssen halt die alten, kranken und behinderten Tiere selbst zusehen, wie sie sich gegen die Hyänen des Finanzkapitals durchsetzen. So ist die Natur. Grünenwählern ist das selbstverständlich. Die finden so etwas gut. Da bleibt nämlich mehr übrig für die Gestaltung des Privatbiotops im eigenen Garten. So etwas kostet halt. Im Manager Magazin wird man gerade darüber aufgeklärt, wie wichtig uns die Pflege der Superreichen ist:

Der schonende steuerliche Umgang mit großen Vermögen lässt nicht nur die Finanzierungsbasis des Staates zunehmend erodieren, er stellt auch einen eklatanten Verstoß gegen das Gebot der Leistungsgerechtigkeit dar, das ja gerade Angehörige der Oberschicht gerne postulieren. Ein Prozent der deutschen Kinder dürfte in den kommenden Jahrzehnten ein Viertel des gesamten Vermögens in Deutschland erben – und wird darauf kaum Steuern zahlen müssen. Ein Drittel aller Kinder wird hingegen von seinen Eltern gar nichts erben und kann bestenfalls durch hoch besteuerte Arbeit zu Wohlstand gelangen.

Ein Prozent der Kinder erben 25 % des gesamten Volksvermögens. Toll! Gut zu wissen, das die Menschen mit dem richtig guten Charakter dann auch sozial gut abgesichert sind. Nicht auszudenken, wie solch edle Naturen in der Gosse leiden würden. Schön auch zu sehen, das die Regierung alles in ihrer Macht stehende unternimmt, um den Prozess zu beschleunigen, bis letztlich in ferner Zukunft ein einziger Superreicher alles, ja wirklich ganz und gar alles hat, siehe FTD:

Die Bundesregierung plant eine unternehmerfreundliche Steuerreform: Nach FTD-Informationen dürfen deutsche Firmen künftig Verluste aus dem Ausland verrechnen. Das dürfte Steuerausfälle in Milliardenhöhe zur Folge haben.

Wir brauchen keine Steuern. Die werden sowieso nur von den Herdenmenschen gefressen. Wir brauchen auch eigentlich gar keinen Staat mehr. Wir organisieren das alles privat – Geld genug ist ja da. Ein paar eingezäunte Landstriche, in denen man das Paradies erblühen läßt … und außerhalb dann die kalte brutale Realität von „Hartzland“, wo man mit dem Messer in der Hand tagtäglich ums Überleben kämpfen muß – permanente Liveübertragungen sichern das Interesse der Herrenmenschen.

Damit wir schon heute etwas von dem neuen Wind in Deutschland mitbekommen, fangen manche Firmen schon jetzt an, neue Wege zu gehen, siehe FAZ:

Die Firma aus der Pfalz wollte nicht länger tatenlos zusehen. Sie nutzte die freien Kapazitäten in der jüngsten Wirtschaftskrise, in der es mehr Mitarbeiter als Aufträge gab, und erarbeitete ein Gesundheitssystem. Dazu gehören ärztliche Untersuchungen, finanzielle Zuschüsse für sportliche Aktivitäten und vor allem eine größere Sensibilität gegenüber dem Problem stetig wachsender Belastungen am Arbeitsplatz. Wer sich zum Beispiel krank gemeldet hat – und sei es auch nur für einen Tag – dem bieten die Vorgesetzten seither ein Gespräch an. „Das soll keine Disziplinarmaßnahme sein“, sagt Tanja Romboy, sie wollten nur erfahren, ob es an der Arbeit lag, dass jemand krank wurde, und ob sich womöglich etwas verbessern ließe. Auf diese Weise sollen Langzeitkrankheiten verhindert werden.

Natürlich ist das keine Disziplinarmaßnahme. Man verschwendet gerne Arbeitszeit für ein Pläuschchen, bei dem der Arbeitnehmer nicht so recht weiß, ob er noch einen Arbeitsplatz hat, wenn der das Büro des Chefs wieder verlässt.

Aber uns geht es gut. Der Aufschwung hat uns voll erfasst und lässt uns nicht wieder los. Gut – wir sollten nicht krank oder alt werden. Das wäre dann schlecht. Aber das entscheidet ja auch jeder für sich, gerade so, wie es ihm gefällt. Immerhin ist dies ein freies Land. Wer unbedingt meint, er müsse sich kaputt malochen anstatt einfach sein Geld für sich arbeiten zu lassen, der ist schlichtweg selber schuld. Wie man sich benimmt, wie es sich gehört, zeigen eben die Guttenbergs, hier der Senior im Manager Magazin:

Die beiden Autoren zeichnen darin das Bild eines Karl-Theodor zu Guttenberg senior, der seine Mitarbeiter wie Leibeigene behandelt, Überstunden nicht bezahlt, Betriebsräte zu verhindern sucht, Lehrlinge als billige Hilfsarbeiter missbraucht und selbst langjährige Beschäftigte wegen kleinster Vergehen feuert. Das adelige Standesbewusstsein zeigt sich vor allem darin, dass sich der Herr Baron bei einer Betriebsfeier vor den Augen der Belegschaft Rehbraten servieren lässt – für alle anderen gibt’s Würstchen.

Irgendwie bleibt bei mir allerdings das unangenehme Gefühl, das es kein besonders edler Charakter ist, der sich da im Reichtum suhlt. Aber … ich bin ja auch nur ein armes Herdentier, einer vom Würstchenvolk, nicht vom Rehbratenadel – was weiß ich schon.

 

 

 



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