Alltagsterror

apokalyptisch

Von hier aus gelangen Sie auf die Autorenseite von und koennen alle kommenen Artikel mit "Link speichern unter" abonieren.

„Lauft herbei, schaut euch diese grausigen Ruinen an,

All die Trümmer, Bruchstücke, die unseligen Aschenreste,

All die Frauen, die Kinder, alles aufeinander gehäuft,

Die zerstreuten Glieder unter zerbrochenem Marmor;

Hunderttausend Unglückliche, die die Erde verschlingt,

Die blutend, zerrissen und noch atmend

Unter ihren Dächern begraben, rettungslos

Im Grauen der Qualen ihre jammervollen Tage vollenden!

Wollt ihr auf die kraftlosen Schreie ihrer sterbenden Stimmen,

Angesichts der Schrecken ihrer rauchenden Aschen,

Noch sagen: »Es ist die Wirkung ewiger Gesetze,

Die ein freier und wohlwollender Gott erwählen muss?«

Sagt er noch, wenn ihr diese aufgehäuften Opfer seht :

»Gott hat sich gerächt, ihr Tod ist der Preis ihrer Untaten?«

Welche Untat, welchen Fehler haben die Kinder begangen

Die am mütterlichen Busen zerquetscht verbluten?“

– Voltaire in „Poème sur le désastre de Lisbonne“

———————————————————————————————————————————————————————————

 

In seinem Gedicht, über das Lissabon-Desaster, nach dem verheerenden Erdbeben von 1755, welches Europa schockiert hatte, räumt Voltaire seine Unwissenheit über die Folgen von solchen schrecklichen Ereignissen. Zu seiner Zeit gab es kaum eine Frage über praktische Hilfe; zu langsam verbreitete sich die Nachricht von der Katastrophe. Und so konnte er angesichts der seinerzeit geschätzt über 30.000 Toten, nur über die „törichten Philosophen“ reflektieren – auf diejenigen, die ihr Vertrauen auf die göttliche Gnade und gleichermaßen auf den Fortschritt der Menschheit legten. – Das Beben von Lissabon platzte mitten in ein Jahrhundert hinein, in dem man sich in Sicherheit wiegte, so wie sich auch vor der Katastrophe von Japan niemand Gedanken machte, dass auch dort von einer Stunde auf die nächste nichts mehr so sein wird, wie zuvor.

Horst Chomyn
louemol



Die letzten 100 Artikel