Neue Begriffe erobern das Land: Postdemokratie ist einer davon, Präsentismus ein anderer.
Über Postdemokratie klärt le Bohemian auf, ein Zustand, der irgendwie der momentanen politischen Situation in Deutschland ähnelt.
Eine der zentralen Thesen in den aktuellen Diskussionen über „Postdemokratie“ besagt, dass moderne Demokratien hinter einer Fassade formeller demokratischer Prinzipien zunehmend von privilegierten Eliten kontrolliert werden. Die Umsetzung neoliberaler Politik habe zu einer „Kolonisierung“ des Staates durch die Interessen von Unternehmen und Verbänden geführt, so dass wichtige politische Entscheidungen heute außerhalb der traditionellen demokratischen Kanäle gefällt werden. Der Legitimitätsverlust demokratischer Institutionen zeige sich in einer zunehmenden Entpolitisierung.
Das ist eigentlich schon länger eine bekannte Tatsache und sollte nicht weiter verwundern. Verwundern sollte eher, das sich kaum noch jemand für die Rettung der Demokratie interessiert, das außer ein paar Quertreibern alle geschlossen in eine dunkle Zukunft marschieren, die ihre Schatten tagtäglich deutlicher vorauswirft.
Allein der Wikipedia-Artikel über Lobbyismus zeigt, wie „Demokratie“ mitlerweile in diesem Land funktioniert:
Lobbyismus ist eine aus dem Englischen übernommene Bezeichnung (Lobbying) für eine Form der Interessenvertretung in der Politik, mit der Interessengruppen (Lobbys) versuchen, die Exekutive und Legislativedurch persönliche Kontakte – aber auch die öffentliche Meinung über die Massenmedien (Öffentlichkeitsarbeit) – zu beeinflussen. Offizielle Bezeichnungen sind etwa Interessenverband, Public Affairs, politische Kommunikation, Politikberatung und Ähnliches. Im Jahre 2006 führten Thomas Leif und Rudolf Speth in Analogie zur Bezeichnung Vierte Gewalt für die Presse in Deutschland die Bezeichnung Fünfte Gewalt für den Lobbyismus ein.
Lobbyismus ist eine Methode der Einwirkung auf Entscheidungsträger und Entscheidungsprozesse, vor allem durch Information im Rahmen einer festgelegten Strategie.
Man weiß sogar genau, wann es angefangen hat:
Verstärkt seit dem Ende der 1990er-Jahre entstand in Deutschland eine große Zahl von Initiativen, die sich für als notwendig angesehene marktwirtschaftliche Reformen, für internationale Wettbewerbsfähigkeit und gegen von ihnen so bezeichneten „Reformstau“ einsetzen. Viele dieser Gruppen verstehen sich selbst als Basisbewegungen, Kritiker sehen in ihnen Lobby-Organisationen der Wirtschaft, die sich als Bürgerbewegung tarnen, und verweisen als Beleg auf ihre Finanzierung. Sie nutzen beispielsweise große Anzeigen in Tageszeitungen, auch den Rundfunk, um für ihre (politischen) Ziele zu werben und so in ihrem Sinn Einfluss auf die öffentliche Meinung zu nehmen.
Da war also jemand, der Geld und Macht hatte – und eine gute Idee. Man macht die Meinung der Bürger einfach mal selbst – immerhin ist man ja selbst auch ein Bürger. „Wir sind auch das Volk“ stand damals großartig in den Tageszeitungen, versammelt waren dort Menschen, die schon lange gewohnt waren, auf Kosten anderer zu leben. Wie man so etwas macht, zeigt zum Beispiel der Herr Maschmeyer, hier in der Welt:
Der Finanzdienstleister AWD hat Privatanlegern in Deutschland nach Medienberichten hochriskante Beteiligungen an geschlossenen Immobilienfonds empfohlen. Wie das Magazin „Stern“ unter Berufung auf eine interne Kundenliste von AWD vorab aus seiner neuen Ausgabe berichtete, vertrieb das Unternehmen allein aus der Serie der Drei-Länder-Fonds in den 90er-Jahren mehr als 34.000 Beteiligungen mit einem Wert von insgesamt rund einer Milliarde Euro. Die meisten Anleger hätten mit diesen Fonds viel Geld verloren, da ihre Beteiligungen inzwischen nur noch einen Bruchteil wert seien.
Wie dem Bericht zu entnehmen ist, ging das ganze sogar auf Kredit. „Wir sind auch das Volk„, das stimmt – aber was für eins. Das ganze Drama geht ja auch international weiter. Nehmen wir einen der grossen Führer der neoliberalistischen Revolution: Silvi Berlusconi. Sein Lebensstil ähnelt dem Maschmeyers, gefunden bei N-tv:
Im Zuge der Ermittlungen über sein Sex-Leben kommen brisante Details ans Licht über Italiens Regierungschef Berlusconi. Zum Beispiel, was er so mit seinem Geld macht. 34 Millionen Euro ließ Berlusconi letztes Jahr springen. Für Krawatten, Häuser, Kunst – und die Anbahnung von Bunga Bunga.
Was letztendlich daraus wird, sieht man jetzt schon laut Tagesanzeiger.ch in Griechenland
Die desolate Lage des Landes und die vorgenommenen Einschnitte haben die griechische Wirtschaft im letzten Jahr um rund 4,5 Prozent einbrechen lassen. Allein um den Schuldenstand bei 150 Prozent gemessen am Bruttoinlandprodukt (BIP) zu stabilisieren, sind weitere Einschnitte im gleichen Umfang nötig – Voraussetzung dafür wäre allerdings, dass das BIP in der Folge der Einschnitte nicht weiter einbricht. Doch genau das würde passieren.
Einsparungen führen zu schrumpfender Wirtschaft, was wiederum zu Einsparungen führt, die dann wiederum …
Und letztlich ist das Land bankrott, das Volk pleite. Ausser natürlich jenen, die lauthals tönen mussten, das sie auch das Volk sind. Das schien vorher nicht selbstverständlich zu sein. Bald wird wohl die Anzeige kommen „Nur WIR sind das Volk: wer zahlt, befiehlt!„.
Und für das Volk gelten dann andere Regeln, siehe N-TV:
Auch wenn Fernsehen in Deutschland zu den „herrschenden Lebensgewohnheiten“ zählt, haben Hartz IV-Empfänger keinen Anspruch auf ein TV-Gerät. Es sei für die grundlegenden Bedürfnisse Aufenthalt, Schlafen und Essen nicht erforderlich, befand jetzt das Bundessozialgericht.
Wer nun meinte, die Postdemokratie bequem auf dem Sofa aussitzen zu können, der irrt. Der Fernseher wird Luxusgut und gehört gestrichen. Vielleicht wird er ja auch bald staatlicherseits konfisziert.
Auch die Hoffnung, in die Sphären des „echten Volkes“ (so wie ich die jetzt mal nennen möchte, weil sie sich offenbar auch als solches empfinden) aufsteigen zu können, zerschlagen sich laut N-TV:
Das Kölner Landgericht verbietet mit einer einstweiligen Verfügung der Westlotto GmbH, Hartz-IV-Empfängern Spielscheine zu verkaufen.
Kein Fernsehen, kein Lotto – was bleibt da noch? Vielleicht … einfach mal seinem eigenen Wert nüchtern ins Auge zu schauen. Der liegt bei 90 Dollar, siehe Wisopol:
Kostete ein Sklave vor 200 Jahren noch 40.000 US-Dollar (auf die heutige Kaufkraft des US-Dollar umgerechnet), so kriegt man ihn heute bereits für 90 US-Dollar.
Für einen modernen Sklavenhalter macht es überdies auch keinen Sinn, für einen erkrankten Sklaven (teure) Medizin zu besorgen, es ist kostengünstiger und somit ökonomisch vernünftiger, den erkrankten Sklaven sterben zu lassen und sich einen neuen zu kaufen.
Und so kommen wir von Sklaverei, Hartz IV und anderen postdemokratischen Zuständen direkt zu: Präsentismus, einem Wort, das mir heute das erste mal bei heilpraxis-net begegnete:
Wenn Arbeitnehmer trotz Krankheit zur Arbeit gehen, sprechen die Fachleute vom sogenannten Präsentismus. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin hat sich dem Phänomen in einer umfassenden Studie gewidmet, bei der im Rahmen einer Metaanalyse 258 bestehende Forschungsarbeiten zum Thema Präsentismus ausgewertet wurden. Das Ergebnis der BAuA verdeutlicht, dass Arbeiten trotz Krankheit keine Ausnahme ist – mit weitreichenden Folgen für die Gesundheit der Betroffenen und die Produktivität der Unternehmen.
Es kommt sogar noch besser:
Zwei Studien hätten sogar Anzeichen dafür ergeben, dass ein Zusammenhang zwischen Präsentismus und Langzeit-Arbeitsunfähigkeit bestehe.
So führt Präsentismus direkt in Hartz IV, der Welt ohne Fernsehen und Lotto. Angesichts der neuen Sklavenhaltermethoden ist diese Haltung ja auch verständlich, bei einem solchen Überangebot an Menschen ist die Entsorgung der Arbeitsunfähigen einfach ökonomisch sinnvoll, so etwas predigen die Lobbyisten ja schon seit Jahrzehnten …. auf unterschiedlichsten Deutlichkeitsstufen. Das führt dann zu solchen Erscheinungen, das Kinder von Hartz-IV-abhängigen Müttern keine ärztlich angeordnete Sonderernährung bewilligt bekommen, weil kostenaufwendige Sonderernährung nur für „arbeitsfähige“ bewilligt wird.
Das ist jetzt schon Gesetz in Deutschland, das sollte man nicht vergessen.
Das dieses System der beständig steigenden Bereicherung kleiner Minderheiten auf Kosten der Mehrheit nicht lange funktionieren kann, zeigt das Beispiel Griechenland, Portugal, Italien oder auch einfach ein Blick auf die Schuldenuhr des Bundes der Steuerzahler.