Nun ist er fort – für eine Weile. Karl-Theodor zu Guttenberg hat das Handtuch geschmissen, Deutschland ist bewegt. Bewegt in zwei Richtungen: die einen feiern, die anderen trauern. Was mich persönlich anekelt, ist die Häme, die in vielen Kommentaren unverholen auftritt, der Neid der viel-zu-vielen, wie Nietzsche sie genannt hat, Menschen, die eigentlich überhaupt nichts dagegen hätten, wenn sie selbst in der Haut das Barons stecken würden (reich, charmant, gutaussehen, gut verheiratet – einfach eine bessere Art von Mensch) aber es auf den Tod nicht ausstehen können, das es der Baron ist, der den Baron gibt – und nicht sie.
Es ist eine Kultur der Neider … und jene Kultur ist gerade da beheimatet, wo der „Leistungsträger“ haust, nicht dort, wo man versuchen muss, mit fünf Euro Regelsatzerhöhung fünfzig Euro Kostensteigerungen für Strom, Heizung und Lebensmittel zu bewältigen. Wenn einem das Wasser bis zum Hals steht, fehlt einem die Zeit, sich groß um andere zu kümmern. Ein großes Bedrohungspotential für den durchschnittlichen Parteifunktionär erhob sich da, ein Adel, der dem Volk gefiel.
Das Manager-Magazin fängt etwas von dem ein, was die Menschen an dem Baron mochten.
Die Geschichte hatte von Anfang an etwas Märchenhaftes. Von seiner Burg in den fränkischen Wäldern steigt ein Baron in die Niederungen der deutschen Politik herab. Alles an Karl-Theodor zu Guttenberg ist anders. Sein Vermögen macht ihn unabhängig. Er redet gewandt wie kaum ein zweiter im Parlament. Er sieht gut aus, hört AC/DC und hat seine Frau auf der Love Parade kennen gelernt.
Seine Umgangsformen sind perfekt. Seine Worte haben nicht dieses Boshafte, das bei anderen Politikern immer wieder mitschwingt. Das Parteiengezänk scheint ihm zuwider. Seine Popularität verdankt er keiner radikalen Meinung. Seine Ausstrahlung, seine Glaubwürdigkeit wecken Hoffnung in allen Lagern: Der macht das nicht für sich oder eine Klientel. Der macht das wirklich für uns alle. Deshalb vertrauen wir uns ihm an.
Deutlicher dann man die Ausnahme kaum beschreiben: er machte den Eindruck, er macht Politik für alle – nicht nur für sich selbst. Das überzeugte „in allen Lagern“.
Die Opel-Staatsbeihilfen hat er abgelehnt – das war was für uns alle. Das Afghanistan-Desaster endlich mal „Krieg“ genannt – und das als „Rechter“. Wie wohltuend unterschied er sich von Guido Westerwelle, der noch als Aussenminister auf Arbeitslosenjagd geht oder von Angela Merkel, von der man wohl nur aus den zukünftige Geschichtsbüchern erfahren wird, für welche Politik sie eigentlich steht. Sein Strahlen bekam erst Gewalt und hob ihn über den Durchschnitt durch den kriecherischen Niedergang demokratischer Kultur, die aus „Alternativlosigkeit“ ein politisches Konzept gemacht hat – von rechts bis links. Zwischen den ganzen Parteikarrieristen fiel er auf durch den Verdacht, er wäre die große Ausnahme im Bundestag, er wäre wirklich ein Mensch, der es aus eigener Kraft zu etwas gebracht hat und nicht von der Partei als Platzhalter zum Wohle aller Absahner eingesetzt wurde.
Was in dem Moment auffällt: die „Gang“ der „Absahner“, die Deutschland zum Zwecke der eigenen Bereicherung Hartz IV bei gleichzeitiger Bankenderegulierung verordnet hatte, ist bei den sogenannten „Konservativen“ nicht minder anzutreffen als bei SPD und Grünen. So liest man in der Welt:
Ausgerechnet er, der bürgerliche Werte so perfekt zu verkörpern schien, hat gegen sie verstoßen. Es wird der Union in Zukunft noch schwerer als bisher fallen, als Hort traditioneller Tugenden zu gelten. Eben sah es noch so aus, als verklinge allmählich das lange eingeübte Lied von der Bigotterie, Doppelmoral und mangelnden Glaubwürdigkeit der Bürgerlichen und Konservativen.
So werden wir uns also wieder an dieses Lied gewöhnen müssen. Haben wir aber doch schon längst: es macht doch überhaupt keinen Spaß mehr, sich über die Gaunereien der Schwarzen und Gelben zu empören – landesweit sind die doch als verbrecherische antichristliche Vereinigung schon längst akzeptiert, mit Skandalen über rechte Mauscheleien zur gegenseitigen Bereicherung überrascht man doch keinen CDU-Wähler mehr … von denen es auch immer weniger gibt.
Die Affäre Guttenberg erlaubt so einen tiefen Einblick in die ansonsten vernebelte politische Wirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland. Es war etwas sehr Denkwürdiges geschehen: ein adeliger Multimillionär wurde „einer von uns“ – jedenfalls in der Meinung weiter Teile der Bevölkerung.
Umso größer die Enttäuschung, das auch er – der es von Vermögen und Herkunft eigentlich nicht nötig gehabt hätte – ebenfalls zur „Gang“ der „Absahner“ gehörte. Für einen Moment schien es, als ob es wirklich noch Menschen geben könnte, die für das Volk leben können, anstatt von ihm, Regenten, die sich als erste Diener des Staates begreifen und nicht nur als Erste beim Plündern der Staatskasse.
Und – seltsamerweise – klingen gerade in der sonst konservativen Welt auch revolutionäre Töne an:
Die internetgestützte bürgerliche Volkssouveränität hat Guttenberg und Merkel daran gehindert, fünfe gerade sein zu lassen. Und das ist auch gut so.
Nun stoße ich mich gerade an dem Gebrauch des Begriffes „bürgerlich“, der weiter oben noch als Hort konservativer Tugenden beschrieben wurde, besser gesagt: ich störe mich an dem Versuch der Vereinnahmung dieses Begriffes für eine bestimmte Minderheit. „Bürger“ … ist hier jeder. Die „Bürgerlichen“ sind wir alle, auch die Obdachlosen oder die DKP. „Bürgerlichkeit“ in dem Sinne Konservativer leben können allerdings nur Reiche, Obdachlose können schlecht zum Tee einladen, Linke schmecken häufig das Kinderblut im Kaffee.
„Internetgestützte bürgerliche Volkssouveränität“ erinnert an revolutionäre Sprüche: „Wenn Dein starker Arm es will, stehen alle Räder still„, hieß es dazu früher mal – und in der Tat haben wir es hier mit einer kleinen deutschen Revolution zu tun, die auch zeigt, das sich die Machtverhältnisse langsam verschieben, wie auch das Handelsblatt bemerkt:
Jenseits allen Spotts hat die Affäre gezeigt, wie stark das Internet im Zusammenspiel mit den klassischen Medien die Politik beeinflussen kann – wenn das Thema die Nutzer nur genügend interessiert.
Nun – das Ganze hat nicht die Dramatik der arabischen Revolten – hier wurde weniger ein Potentat abgesägt, sondern mehr eine potentielle Lichtgestalt, die als solche auch für weite Kreise der berufsmäßigen Staatskassenplünderer gefährlich werden konnte, weil er so schrecklich beliebt und unabhängig schien. Was wäre, wenn der beim Plündern nicht mitmachen möchte?
Jetzt können sich wieder alle ruhig zurücklehnen: die Gefahr ist gebannt – und hatte real auch nie bestanden.
So langsam verlagert sich die politische Macht von der Wahlurne zum Bildschirm und eine technische Spielerei wird zu einem Feld lebendiger Demokratie – möglicherweise zu unserem Marktplatz, auf dem wir uns versammeln, um Deutschlands Bürgern wieder eine Zukunft geben zu können – jenseits von Parteienfilz und Konzerndiktat.
Vielleicht … war es aber auch nur die Rache der Neider.