Politik

Bürgerkrieg in Deutschland 2011

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Wir haben ja Krieg in Deutschland. Bürgerkrieg. Auf der einen Seite: Finanzgauner und Politikgeier. Nein, keine Widerrede: das sind auch Bürger. Sie verhalten sich asozial, fügen der Volkswirtschaft Schaden zu wo sie nur können, belügen und betrügen von Morgens bis Abends und stehlen einer ganzen Generation die Zukunft, aber es sind auch Bürger die nichts anderes tun als ihre Möglichkeiten zum eigenen Vorteil zu nutzen – so, wie man es ihnen beigebracht hat.

Auf der anderen Seite haben wir Menschen, die wenig Interesse an Raubwirtschaft haben und deshalb irgendwann mal unter die Räder kommen. Sie haben einen großen strategischen Nachteil: ihre biologische Grundausstattung verlangt zum Zwecke des Selbsterhaltes eine chronische Versorgung mit Nahrungsmitteln. Wird diese nicht gewährleistet, stirbt der Mensch. Um dies zu vermeiden hat die Natur eine Vielfalt von frei verfügbaren Nahrungsmitteln geschaffen, die am Wegesrand gratis herumstehen und sich mit wenig Arbeit auch noch gezielt anbauen lassen, was das erschreckende Phänomen „Hunger“ für immer und ewig aus der Erfahrungswelt der Menschen verbannte.

„Hunger“ ist eine Form von Gewalt. Das ist uns sehr fremd geworden nach sechzig Jahren Überfluss, aber Hunger – das sollte man wissen – kann ganz schlimm weh tun und ist von der Schmerzintensität auf eine Stufe zu stellen mit extremer Folter. Durst ebenso.  Hier kann jeder mal einen Selbstversuch machen, falls man die Aussage anzweifelt.

Deshalb ist Hunger (oder die Drohung mit Hunger) auch eine starke Waffe: die stärkste Festung konnte ohne einen einzigen Schuß genommen werden, wenn der Hunger kam.

Weil jetzt reale Kriege schnell unberechenbar und unbezahlbar geworden sind, haben sich die vernüftigen Bürger zusammengesetzt und die Politik erfunden, die im Prinzip den Krieg ersetzen und vor allem das Leiden der Bevölkerung verhindern sollte. Das gehört zu den historischen Entwicklungen, die man „Zivilisation“ nennt und die schon Jahrtausende alt sind. Es wurde nicht mehr belagert, sondern „so getan als ob“.  Das ersparte allen Beteiligten viel Zeit und Geld und förderte enorm die Debattenkultur, die noch älter ist als der Krieg selbst.  So verschwand der Bürgerkrieg aus der real existierenden Alltagswirklichkeit und man hatte die Hoffnung, das auch seine Ursachen verschwinden würden, weil man ja jetzt Demokratie hatte.

Doch im Jahre 2011 konnte man in der Bundesrepublik Deutschland – dereinst ein Vorzeigeland und Musterknabe was die Liebe zur Demokratie anging – wieder den Einsatz der Hungerwaffe beobachten … diesmal gegen das eigene Volk, wie (neben vielen anderen) heute Karl Weiss berichtet:

In drei voneinander unabhängigen Fällen wurden jetzt von den Hartz-IV-Behörden jungen schwangeren Frauen das Unterhaltsgeld gestrichen, weil sie unzumutbare Arbeitsplätze nicht angetreten hatten. Eine von ihnen sagte, sie fühle sich „wie eine Verbrecherin“ behandelt. Auch Tausende anderer Hartz-IV-Empfänger hatten bereits diesen Eindruck.

Die jungen Frauen werden feststellen müssen, das zwischendurch ein gemeiner Diebstahl stattgefunden hat. Es wachsen kaum noch Nahrungsmittel am Wegesrand und auch die Zahl des erjagbaren Wildes ist enorm  zurückgegangen, dafür gibt es Monokulturen und Autobahnen, was man noch als Teil des „Deals“ ansehen kann, den wir irgendwann mal für den „Fortschritt“ eingegangen sind. Auch dazu kann man sagen: war ja auch in Ordnung. Einkaufszentren statt Acker haben was für sich … wenn jeder das notwendige Geld gratis erhält, das Zugang zu den Waren des Einkaufszentrums hat, genauso, wie die Natur die Waren ja auch Gratis am Wegesrand wachsen läßt. Aber hier … wird es schief und man hat die Rechnung ohne die Gauner gemacht, ohne jene Menschen, die die Macht haben, Regeln aufzustellen. An Gauner hatten wir schlichtweg nicht gedacht.  Darüber klärt uns jetzt die Hans-Böckler-Stiftung auf:

Der Gesetzgeber hat während des vergangenen Jahrzehnts den Arbeitsmarkt dereguliert, um mehr Menschen in Arbeit zu bringen. Damit höhlt er jedoch die sozialen Sicherungssysteme aus.

Ein Großteil der Arbeitsmarktreformen des vergangenen Jahrzehnts hatte eine entscheidende Nebenwirkung – sei es die Einführung von Minijobs oder die Erleichterung von Leiharbeit: Immer mehr Beschäftigte können von ihrer Arbeit nicht leben, benötigen also staatliche Hilfen. Auch die Rente wird in Zukunft für viele nicht mehr reichen – weil sie im Laufe ihres Berufslebens nicht genug in die Rentenkasse einzahlen können. Das Sozialversicherungssystem stellt jedoch auf Arbeitsverhältnisse ab, die ein auskömmliches Einkommen und eine ausreichende Rente ermöglichen. Versuche, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, müssen sich in diesen Rechtsrahmen einfügen, sonst drohen der Gesellschaft schwere Schäden.

Das ganze Elend fiel nun nicht vom Himmel – es ist nur Menschenwerk:

Besonders die „Agenda 2010“ der rot-grünen Bundesregierung förderte nach der Analyse Waltermanns einen wachsenden Niedriglohnsektor, breit gefächerte geringfügige Beschäftigung, mehr Leiharbeit und Solo-Selbstständigkeit. Die Löhne atypisch Beschäftigter – speziell in geringfügiger Beschäftigung und in der Leiharbeit – liegen im Schnitt deutlich unter den Entgelten eines so genannten Normalarbeitsverhältnisses, belegen Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Fast die Hälfte bezieht demnach Bruttolöhne unterhalb der Niedriglohngrenze – mit zunehmender Tendenz.

Und damit das so bleibt, legen sich auch die „Linken“ ins Zeug, jedenfalls die, die im Bundestag sitzen und nun die Erwerbsloseninitiativen laut Linke Zeitung mit einem erbärmlichen Vorschlag brüskiert haben:

Für eine verfassungsgemäße Hartz IV-Neuregelung ist nach Auffassung der Linksfraktion eine Erhöhung des Regelsatzes um 33 Euro erforderlich
Das Erwerbslosen Forum Deutschland zeigt sich äußert irritiert, dass die Linke ihre Forderungen von einem Regelsatz für Alleinstehende von 500 Euro fallen lässt und sich stattdessen auf eine Berechnungsgrundlage aus dem Hause der Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen stützt, dessen Grundlage schon auf die Haushaltslage angepasst wurde.

Dabei ist das Hartz IV-Niveau das Fernziel deutscher Beschäftigungspolitik – und dieses Jahr kommen wir ihm laut Spiegel einen deutlichen Schritt näher:

Die Regierung sagt einen Job-Boom voraus – doch Frank-Jürgen Weise dämpft die Erwartungen: Der Chef der Bundesagentur für Arbeit erklärt im Interview, dass es keinen großen Stellenzuwachs geben wird. Tendenziell müssten sich die Deutschen sogar auf niedrigere Löhne einstellen.

Und nicht nur das.  Die Zahl derjenigen, die in die Fänge der Jobcenter getrieben werden, wird sich erhöhen, was sich auch durch die handelsüblichen Statistiklügen nicht mehr lange verheimlichen lassen wird, wie der Stern ausführt:

2,3 Prozent Wirtschaftswachstum, weniger als drei Millionen Arbeitslose: Ist das nicht ein Grund zu feiern? Nein. Denn die Arbeitslosenzahlen sind falsch. Und vom Aufschwung profitieren nur wenige.

2,9 Millionen Menschen sind arbeitslos gemeldet. Mindestens weitere zwei Millionen sind irgendwo versteckt. In Fortbildungsmaßnahmen, an deren Ende sehr oft erneute Arbeitslosigkeit wartet. In erzwungener Frührente, von der sich ohne Unterstützung auch nach einem langen Arbeitsleben nicht anständig leben lässt. Und wer zahlt die Zuschläge für die Niedriglohnarbeitnehmer? Die Steuerzahler mit mittleren Einkommen, deren Reallöhne in den vergangenen zehn Jahren praktisch nicht mehr gestiegen sind. Ganz im Gegensatz zu den großen Geldvermögen, deren Zuwächse, sofern sie nicht verschleiert werden, bei vier Prozent liegen. Zwei Drittel der Normalbürger besitzen dagegen überhaupt kein Barvermögen.

Um bei mittelalterlichen Bildern zu bleiben: eine Räuberbande hat unseren Kornspeicher besetzt – jenen Speicher, an dem wir alle mitgearbeitet haben und dessen Ernte unser aller Ertrag ist. Und nun wollen sie das Korn gern ganz für sich alleine haben, was dazu führen wird, das die Bürger der Stadt verhungern werden.

Und weil Hunger eine Waffe ist, nenne ich das Bürgerkrieg. Nur weil man uns den Hahn recht langsam zudreht, ändert das nichts am Prinzip, das uns der Hahn zugedreht wird, so als ob eine plündernde Landsknechtshorde vor der Stadt die Zufahrtswege blockiert. Sie reduzieren die Zufuhr nur langsam, weil das den Vorteil hat, das die Bewohner der Stadt sich nicht so schnell organisieren können, weil sie die Bedeutung der Tat nicht sofort widerspruchsfrei einordnen können und noch lange über die verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten der beobachteten Wirklichkeit diskutieren, während einige insgeheim nach Möglichkeiten suchen, einfach für sich selber noch schnell genug abzugreifen, bevor die Horde den Hahn ganz zudreht.

Reduziert wird täglich weiter, mehr und mehr – und der Hunger kommt zurück in ein Land des Überflusses.



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