Wir werden etwas ändern müssen. Was heißt „etwas“ – wir müßten alles ändern. Unsere gesamte Wirtschaftsordnung hat ihr endgültiges Ende erreicht. Wer etwas von Wirtschaft versteht, hat deshalb nur noch eins im Sinn (und das schon seit zwanzig Jahren): absahnen und abhauen. So hieß mal ein Buch von Günther Ogger, hier bei Buchfreund.de:
Ogger zeigt, dass uns eine verfehlte Wirtschafts- und Sozialpolitik in eine Situation gebracht hat, in der Veränderungen dringend notwendig sind, aber kaum versucht werden. Er sieht eine in zwei ungleiche Klassen gespaltene Gesellschaft auf uns zukommen: einige wenige Reiche stehen einer großen Zahl Geringverdienender gegenüber. Eine Konstellation, die enormen Zündstoff birgt und so bisher in der Bundesrepublik unbekannt war. Und unser System der behördlichen Überregulierungen, der viel zu weit gehenden Sozialhilfe und der in alten Ideen verharrenden Interessengruppen tut wenig, um das alles zu ändern. Als Vorbild führt Ogger das seiner Meinung nach besser funktionierende System der USA an. Dort ist es zu Wirtschaftswachstum und nahezu Vollbeschäftigung gekommen, während hier die Situation immer schwieriger wird.
Das war 1999, als Menschen wie Ogger den Neoliberalismus als großen Ausweg aus der finanziellen Misere predigten. 2010 dürfte auch Günther Ogger klar geworden sein, das sein Vorbild USA samt Heilsbotschaft des Neoliberalismus nur ein weiterer Weg in die Sackgasse war, denn die haben laut Welt ganz andere Probleme:
Es ist ein dramatischer Appell: US-Finanzminister Timothy Geithner hat die Abgeordneten des US-Kongress mit drastischen Worten gewarnt, dass die USA kurz vor der Zahlungsunfähigkeit stehe. Das Land könne bereits vor April die gesetzliche festgelegte Staatschulden-Obergrenze erreichen. Dann seien die USA zahlungsunfähig – mit dramatischen Folgen: „Selbst ein kurzfristiger Ausfall hätte katastrophale wirtschaftliche Konsequenzen, die jahrzehntelang zu spüren wären“, schrieb Geithner in einem Brief an den Senat.
Nun – auch hier fabulieren jetzt noch die Politiker vom Wirtschaftswachstum und vom Aufschwung, währenddessen sogar das ZDF einfach und plastisch aufzeigt, wie Deutschlands Zukunft aussieht, wenn wir nichts ändern, wieder Welt:
Aktuelle Studien prophezeien Deutschland schwere Zeiten: Mit einem prognostizierten Rentneranteil von 46,2 Prozent wird die deutsche Bevölkerung im Jahr 2030 die älteste in Europa sein. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass ein durchschnittlicher Arbeitnehmer 37 Jahre lang in die gesetzliche Rentenkasse einzahlen muss, um eine Altersversorgung auf Sozialhilfeniveau zu erreichen. Der Gesellschaft drohen dadurch einschneidende Risse.
Davon geht zumindest diese ernüchternde ZDF-Doku-Fiction aus, die nach Angaben des Senders auf aktuellen Forschungsergebnissen basiert. Mit jeder Minute des Films zeichnet sich ein immer trüberes Gesellschaftsbild ab.
Die Optik trägt nachhaltig zu diesem Eindruck bei. Es werden Elendsviertel gezeigt, die an die Nachkriegszeit erinnern. In Lumpen gehüllte Gestalten humpeln durch die Straßen, ziehen klapprige Bollerwagen hinter sich her.
Und das wirklich verblüffende ist – in der gleichen Zeitung finde ich eine Analyse der Ursachen der Entwicklung, also nochmal Welt:
Dieser schon vor langer Zeit begonnene Prozess beschleunigte sich mit der Industrialisierung, die nicht nur Wirtschaftswachstum und materielle Wohlstandsmehrung, sondern auch deren Kosten seit Mitte des 20.Jahrhunderts fast buchstäblich explodieren ließ.
Letztere bestehen jetzt nicht mehr nur aus abgearbeiteten Menschen, überbeanspruchten Feldern und Weidegründen und der einen oder anderen ausgebeuteten Erzmine. Nunmehr wird ein beispielloser Raubbau an allen Ressourcen betrieben: Die Umwelt wird in nie da gewesener Weise mit den Schadstoffen der Güterproduktion befrachtet. Viele nicht menschliche Lebensformen werden ausgerottet. Und die Bevölkerung wird oft bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gefordert.
Einfach mal selber fragen: würde das Leben ohne Betäubungsmittel noch Spaß machen? Ohne Alkohol, Nikotin, Schokolade, Medikamente, Dauerberieselung durch Musik und TV? Wie wäre ein Test: einfach mal eine Woche versuchen, nur in der bundesdeutschen Alltagsrealität zu leben ohne täglichen Einsatz von Lebenskrücken und dann mal schauen, wie die Stimmung ist: das ist dann das reale echte Lebensgefühl der Alltagswirklichkeit ohne Drogen und Drogenersatzstoffe.
Ich habe Verständnis dafür, das jede Form von Betäubungsmittel momentan maximal ausgereizt wird. Das sehe ich wie Franz Weingartner, der Regisseur von Free Rainer, ebenfalls in der Welt:
Meiner Meinung nach wird Fernsehen als Betäubungsmittel verwendet. Die Leute standen tagsüber im harten kapitalistischen Wettkampf: mussten sich durchsetzen, hatten Angst um ihren Arbeitsplatz. Dann kommen sie abends nach Hause und verwenden die Glotze, um sich wegzubeamen, wie mit einer Droge.
Und dieses Betäubungsmittel läßt uns die unerträgliche Wirklichkeit ertragen … obwohl wir mit jeder Minute, die wir untätig vor dem Fernseher sitzen, genau zwangsläufig auf jene Zukunft zusteuern, vor denen uns das ZDF warnt. Wir wissen, das unsere Wirtschaftsordnung am Ende ist, genauso wie die Wirtschaftsordnung der USA. Wir merken jeden Tag, wie bescheiden unser Leben geworden ist, wie scharf-links bemerkt:
Fast 900 Tafeln versorgen die Armen und vormals Lohnabhängigen mit Lebensmitteln. Das Lob für die Tafeln ist überschwänglich, menschenwürdige Versorgung und bürgerliches Engagement haben scheinbar eine gute Verbindung gefunden. Aber: Die Blüte der Tafeln ist gleichzeitig der Niedergang des bröckelnden Sozialstaats.
Wir merken jeden Tag, das unser demokratisches System keine Problemlöser mehr befördert, sondern vor allem Absahner und Abgreifer, wieder aus der Welt:
Die Bundestagsabgeordneten sind 2010 so viel gereist wie nie zuvor. Für 2011 stehen ihnen noch ein paar Millionen Euro mehr für Dienstreisen zur Verfügung.
Währenddessen zeigen sich immer deutlicher die Schattenseiten der Aufschwungpropaganda, hier aus PR-Inside:
Der Traum von der Selbständigkeit ist groß. Wer ihn sich erfüllt, erhofft sich neben einem selbstbestimmten Leben ohne Chef und Vorgesetzte meist die finanzielle Unabhängigkeit. Leider sieht in der Bundesrepublik Deutschland die Realität anders aus. Immer mehr Selbständige, die durch eine Existenzgründung eigentlich der Arbeitslosigkeit und damit staatlichen, sozialen Zuwendungen entkommen wollten, sind darauf angewiesen ihren Lebensunterhalt mit Hartz IV aufzustocken. Im Jahre 2009 bezogen monatlich durchschnittlich etwa 114.000 Gewerbetreibende und Freiberufler Leistungen aus dem Arbeitslosengeld II. Die Zahl der sogenannten Aufstocker unter Männern und Frauen mit eigenem Gewerbe habe sich damit mehr als verdoppelt – Tendenz steigend, wie die Bundesagentur für Arbeit damals mitteilte. Kaum vorstellbar, dass das Ergebnis der hochgelobten Arbeitsmarktreformen ist.
Ein Armutsanstieg bei Selbständigen, den Helden und Motoren der freien Marktwirtschaft, um EINHUNDERT PROZENT. Und was macht die Presse? Das, was Regierung und Wirtschaft verlangen: vernebeln.
Nicht das öffentlich gelogen wird … aber lebenswichtige Informationen werden zwischen Katzenbergers Ausschnitt und Westerwelles Dauerwelle verstreut, so das alles zu einem ungenießbaren unverdaubaren Einheitsbrei wird, der, wenn man Pech hat, auch noch ganz gegensätzliche Informationen erhält um den Bürger völlig aus der Realität zu schießen. So melde Spiegel-online heute:
Mit drastischen Worten hat der amerikanische Finanzminister Geithner vor einer Staatspleite der USA gewarnt, dem Land drohten „katastrophale Schäden“. Auf den ersten Blick ein politisches Manöver. Doch es zeigt auch, wie schlecht es der Großmacht wirklich geht.
Und im nächsten Artikel:
Amerika steckt noch mitten in der Krise, doch langsam kommt die US-Konjunktur wieder in Fahrt.
Solche zweideutigen Botschaften können in der Kindererziehung zu schizophrenen Störungen führen. Vielleicht ist hier die Ursache dafür zu suchen, das psychische Krankheiten in Deutschland immer mehr zunehmen: es ist einfach nicht mehr auszuhalten.
Und so … ändern wir nichts und warten drauf, das das Nachrichtenchaos in reales Chaos übergeht, während jene, die es sich leisten können, das sinkende Schiff verlassen.