Politik

Deutschland 2011: die Aufschwungpleite, der Nepp und das Land der Seligen

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Diese Zeit des Jahres ist ja immer voll mit Jahresrückblicken und Jahresvorausblicken. So was macht ja auch Sinn – für einen persönlich, für eine Familie, für eine christliche Wertegemeinschaft. In letzterer leben wir ja – jedenfalls sagen das die Mächtigen dieses Landes. „Geben ist seliger denn nehmen“ – so lautet ein Leitspruch dieser Wertegemeinschaft. Um dem gerecht zu werden, wurden ehemalige Geldgeber zu Arbeitgebern umdefiniert, während die Menschen, die ihre Arbeitskraft für Geld hergaben, zu unseligen Nehmern von Arbeit degradiert wurden.

Mit dem Geben wird es in Zukunft aber nicht mehr so gut aussehen in diesem Land.  Das merken gerade jene, die ihre Arbeitsleistung immer schlechter verkaufen können und in 2011 mit zusätzlicher Konkurrenz kämpfen müssen: da kommen nun ganz viele Fachkräfte in unser Land, die ihre Arbeit deutlich billiger verkaufen können, wie der Westen sagt:

Ab Mai 2011 können Arbeitnehmer aus acht mittel- und osteuropäischen Staaten ohne Beschränkung in Deutschland arbeiten. Bei gleichem Lohnniveau ist die Öffnung von Arbeitsmärkten kein Problem. Unternehmen konkurrieren dann mit guten Produkten und Dienstleistungen. Ein Qualitätswettbewerb, wie mit unseren westlichen Nachbarländern, fördert den Wohlstand.

Ganz anders sieht es bei großen Lohnunterschieden aus. Die Arbeitsstunde eines Bauarbeiters kostet 1,52 Euro in Bulgarien und 6,32 Euro in Polen – dagegen in Deutschland 20,90 Euro. Grenzüberschreitender Wettbewerb wird bei solchen Unterschieden auf Kosten sozialer Standards ausgetragen.

Da kündigt sich eine neue Völkerwanderung an. Wie weise von der Politik, das sie das ermöglicht hat, wie fürsorglich von der Wirtschaft, das sie uns die Notwendigkeit der Völkerwanderung zuvor jahrelang gepredigt hat. Und wie gut, das der deutsche Arbeitnehmer sowieso schon immer weniger Geld für seine Arbeit nimmt und seine Arbeitskraft immer billiger verkauft – so ist er laut Spiegel auf die Zukunft gut vorbereitet:

Von dem schwarz-gelben Wahlversprechen „Mehr Netto vom Brutto“ ist nichts mehr übrig. Im Gegenteil: Deutsche Arbeitnehmer werden 2011 bis zu 94 Euro weniger in der Tasche haben.

Die höheren Sozialabgaben treffen besonders Beschäftigte, die geringe oder mittlere Einkommen haben. So hat ein Single mit 3000 Euro Brutto im Monat am Ende des Jahres 60,72 Euro weniger in der Tasche. Wer das Doppelte verdient, muss gerade einmal auf 1,32 Euro verzichten.

Das gleiche Bild bietet sich bei Alleinerziehenden mit einem Kind: Wer sein Kind allein großzieht und 2500 Euro Brutto verdient, verzeichnet Einbußen in Höhe von 56,04 Euro. Beim doppelten Gehalt sind es nur 8,76.

Geben ist seliger denn nehmen. Außer beim Geld natürlich – und bei den Schichten, die von billiger Arbeit immer reicher werden, den Säulen der Gesellschaft, der Basis der christlichen Wertegemeinschaft. Dort nimmt man lieber, erleichtert den Armen laut RP gern von der Last des schnöden Mammons:

Und wieder einmal zahlt der Verbraucher mehr: Im Januar werden etliche Stromkonzerne erneut ihre Preise anziehen. Und das offenbar auch noch ohne Grund, wie aus einer Studie im Auftrag der Grünen hervorgeht. Dabei gebe es durchaus Möglichkeiten, Preissenkungen an den Kunden weiterzugeben.

Gäbe man die Preissenkungen weiter, könnte der Kunde aber nicht mehr Geben. Das wäre dann unselig. Doch nicht nur der Arbeitnehmer bekommt weniger: die Gemeinden wandern laut Spiegel geschlossen in die Pleitezone ab:

Die deutschen Kommunen stecken in der Schuldenfalle. Für dieses Jahr rechnet der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) mit einem Minus von elf Milliarden Euro. Auch 2011 erwartet der kommunale Spitzenverband ein Defizit in zweistelliger Milliardenhöhe. „Der wirtschaftliche Aufschwung kommt in den Kassen der Kommunen nicht an“, sagte Verbandspräsident Roland Schäfer. „Der Wirtschaft geht es besser, den Kommunen geht es schlechter.“ Sie seien in der schwersten Finanzkrise seit Gründung der Bundesrepublik.

Neben den Arbeitnehmern, den Rentern, den Arbeitslosen und den Gemeinden ist es aber auch der Staat selbst, der – ebenfalls laut Spiegel – keinen einzigen Euro von dem legendären Aufschwung sieht:

Das hat den Hütern der klammen öffentlichen Haushalte noch gefehlt: Deutsche Unternehmen haben laut „Financial Times Deutschland“ ungeahnt hohe Summen an sogenannten Verlustvorträgen angehäuft. Bei der anstehenden Neuregelung der Besteuerung drohen dem Staat gewaltige Einnahmeausfälle.

Unternehmen, die Körperschaftsteuer zahlen müssen, schieben den neuen Zahlen zufolge 506 Milliarden Euro an Altverlusten vor sich her. Bei der Einkommensteuer waren es 61 Milliarden und bei der Gewerbesteuer sogar 569 Milliarden. Bisherige Schätzungen gingen von insgesamt 500 Milliarden aus.

Das sind mal insgesamt locker 1100 Milliarden – durch clevere Steuertricks erkauft. Wußte man aber laut Wiwo schon vor einem Jahr:

Danach weisen die jüngsten Statistiken des BMF Verlustvorträge von insgesamt 600 bis 800 Milliarden Euro aus – über genaue Zahlen verfügt auch das BMF wegen des Steuergeheimnisses nicht. Verlustvorträge sind Verluste früherer Jahre, die auch später noch beim Finanzamt steuermindernd geltend gemacht werden können und dafür in der Unternehmensbilanz fortgeschrieben werden. Diese könnten in Zukunft zu größeren Steuerausfällen führen, weil die neue Bundesregierung diese Verrechnung wieder erleichtern will; die große Koalition hatte die Vorschriften verschärft.

Aber das hatte man dann wohl im Laufe des Jahres vergessen, weil die geschönten Statistiken das Paradies in Aussicht stellten. Na ja, für manche ist es ja auch ein Paradies, wie man im Stern nachlesen kann:

Denn ausgelöst hatten die Debatte drei Großspenden der Substantia AG im Jahr 2009 an die FDP in einer Gesamthöhe von 950.000 Euro. Und prompt setzten die Liberalen im Koalitionsgespräch über das so genannte Wachstumbeschleunigungsgesetz die Senkung der Mehrwertsteuer auf sieben Prozent für die Hotelbranche durch. Macht rund eine Milliarde Euro Rendite im Jahr für die Branche. Die Substantia AG gehört dem Milliardär August Baron von Finck, Miteigentümer mehrerer Mövenpick-Hotels.

Geben ist seliger denn Nehmen. Darum gibt der Baron gern. Die badische Zeitung zeigt dann die andere Seite des Geschäftes:

Deutsche Politiker dürfen nach ihrem Ausscheiden aus einem staatlichen Amt ohne Karenzzeit in die Wirtschaft wechseln. Der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), der ehemalige Außenminister Joschka Fischer (Grüne) oder Thüringens ehemaliger Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) sind prominente Beispiele. Von den 63 Ministern und Staatssekretären des rot-grünen Kabinetts verdingten sich zwölf als Lobbyisten, wie die Organisation Lobby-Control aufgelistet hat.

Und das führt uns dann direkt zu NEPP: der neoliberalen Einheitspartei der Politprofiteure, die durch clevere Entscheidungen nicht nur die Geldströme aus Bund Ländern und Gemeinden heraus gelotst  sondern sich auch ebenso clever selbst mitten in die Ströme hineinversetzt haben. Schade nur das man diese Partei nicht abwählen noch in sie eintreten kann – wie bei anderen entscheidend wichtigen Gremien in diesem Land wird man dort nur als geladener Gast empfangen.

Insofern stellt sich für mich nicht die Frage, ob Politik in Deutschland käuflich war, sondern nur, wie teuer es geworden ist. Ich merke aber: das war alles ziemlich billig für die Geldgeber. Politiker kosten letztendlich nicht viel – und man kriegt locker das Hundertfache von der Steuer wieder.

In Zukunft jedoch wird sich da wohl was ändern müssen, wie es aussieht, ist es fraglich, ob Bund, Länder und Gemeinden noch ihre Stromkosten bezahlen können.

So wird die Zeit des Aufschwungs … düster und kalt. Wie es sein kann, das wir während der drohenden Vollbeschäftigung und dem gleichzeitig grassierenden Arbeitskräftemangel immer noch kein Geld in den Gemeindekassen haben, frage ich erst gar nicht nach. Da greift wie beim den Kälterekorden der globalen Erwärmung nur Expertenlogik .

Wir sollten beim anstehenden Papstbesuch darauf hinweisen, das wir alles gegeben haben was wir hatten. Sogar aus den Alten, Kranken und Behinderten haben wir den letzten Euro herausgequetscht, damit die nur ja auch viel geben konnten. Vielleicht werden wir dadurch dann das Land der Seligen – wäre wenigstens etwas Anerkennung.



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