Ich bin gerne mal ein Freund deftiger Worte – erst recht in dem Fall Wikileaks, in dem kaum eine Woche vergeht, in dem mir nicht irgendein Medienapostel erklärt, das „Wikileaks“ ganz schlecht ist und der Bürger auf keinen Fall ungefärbte Wahrheiten verträgt. So etwas kann man inzwischen ganz offen in Nachrichtensendungen hören. Schamlos und ohne jede Bedenken entmündigen Pressefürsten die Bevölkerung, der man nur „aufbereitete“ Wahrheiten zumuten möchte. Das eine „aufbereitete“ Nachricht eine deutlich und absichtlich manipulierte Nachricht ist, scheint inzwischen schon selbstverständlich zu sein.
Eine Weltmacht jagt öffentlich einen einzelnen Menschen. Offen diskutieren Journalisten darüber, das es eigentlich gar kein Gesetz gibt, das Julien Assange übertreten hat, offen wird geantwortet, das man schon irgendetwas finden wird – oder man erschießt ihn eigentlich einfach so. Das ist das brutale, arrogante Antlitz einer Diktatur, die sich vor Öffentlichkeit nicht fürchten muß und Konfrontationen der Öffentlichkeit mit Wahrheit mit Gewalt unterdrücken möchte, damit die Fratze der Menschenfeindlichkeit nicht all zu offen zu Tage tritt – und wo bleibt der Aufschrei der Journalisten und Politiker bei dieser Menschenjagd, die inzwischen Wellen schlägt, die bald an Staatsfeind Nr. 1 Osama bin Laden erinnern?
Warum sollten sie auch aufschreien … sie werden von dem System bezahlt und dienen dafür seiner Stabilität, ordnen Tag für Tag Nachrichten so ein, das sie in das öffentlich gewünschte Bild passen – lediglich ein Altkanzler traut sich laut Welt aus der Deckung:
Altkanzler Helmut Schmidt (SPD) hat die Verfolgung des WikiLeaks-Gründers Julian Assange durch amerikanische Firmen und Politiker als „unklug“ verurteilt. „Das wirkt wie Rache, und das ist es auch“, sagte Schmidt im „Zeit“-Magazin.
Natürlich ist der Rachefeldzug gegen einen Journalisten unklug, denn es zeigt, was man von Pressefreiheit hält. Vielleicht muß man Scharfschütze sein, um die Sicherheit zu haben, sich dem System öfffentlich entgegen zu stellen, so wie jener Mensch, der laut Süddeutscher Zeitung Julien Assange jetzt Obdach gewährt:
Smith betrachtet sich selbst als einen radikalen Liberalen, der konsequent für Bürgerrechte und Meinungsfreiheit eintritt. Politische Parteien sind ihm suspekt. Diese gehören für ihn zum politischen Establishment, und das entfernt sich nach Meinung von Vaughan Smith in den westlichen Staaten immer weiter von den Idealen der Demokratie.
Schön, so etwas auch mal von einem etablierten, mutigen und risikofreudigen Journalisten zu hören. Aber mit einem eigenen Landsitz im Rücken und einer Ausbildung als Scharfschütze lebt es sich schon anders als als alleinerziehende Mutter mit befristetem Angestelltenvertrag und notorischer Dauerflucht vor den Fängen der ARGE, wo man möglicherweise der Willkür gerade jener Menschen ausgesetzt ist, die man durch seine journalistische Arbeit verärgert hat.
„Journalismus“ ist kein Selbstzweck. Informiert er nicht mehr, dann braucht ihn keiner. Vor drei Jahren gab es einen Artikel in der Welt zum Tag der Pressefreiheit:
Die klassische Bedrohung der Pressefreiheit durch totalitäre Regime ist zurückgegangen. Doch es wächst, auch in Deutschland, eine verdeckte Bedrohung durch fragwürdige Rechtsprechung und politische Maßnahmen. Viele Beispiele mahnen am heutigen Unesco-Tag der Pressefreiheit zu erhöhter Wachsamkeit.
Berührt ein Thema die Machtstellung der Regierenden, endet die Freiheit auf eine Weise, die Leser nicht zwingend als Zensur erkennen. Auf der Seite 1 stehen dann Texte, die Informationen täuschend ähneln. Es sind aber keine. Ihnen fehlen, kaum merklich, verbotene Details, oder verbotene Zusammenhänge. Die Seite 1 sähe vollgeschrieben aus. In Wahrheit aber wäre sie leer.
Es ist, wie Torsten Kraul in der Welt schreibt, eine subtile Bedrohung der Pressefreiheit, die sich nun 2010 ganz offen auslebt. Wer wann was erfährt, das bestimmen anonyme „Mächtige“. Karl-Hinrich Renner vom „Hamburger Abendblatt“ zeigt auf, worum es wirklich geht:
Denkt man es zu Ende, könnten die Enthüllungen von WikiLeaks der Anfang vom Ende des Herrschaftswissens sein, so wie wir es bisher kennen.
Schön, das es mal jemand ausspricht: „Herrschaftswissen“ ist jener Machtfaktor, den Wikileaks zentral angreift. Mithilfe von Herrschaftswissen können Massen dirigiert werden – und an dieser Diktatur verdienen so viele so gut, das sich kaum ein Widerstand entfalten kann. „Wissen ist Macht“ – und diese Macht des Journalismus, an dem gut verdient wurde, ist in Gefahr, weshalb – nochmal aus dem Abendblatt – Verleger Zeter und Mordio schreien:
Die Rede war rhetorisch brillant, mehr aber auch nicht. Als der Schweizer Verleger Michael Ringier am 18. November auf den Zeitschriftentagen in Berlin über die neue Stärke von Print sprach, arbeitete er sich vor allem am Internet ab. Dort gebe es „den digitalen Mob“. Mit Journalismus hätten die Hervorbringungen des Netzes nichts zu tun, mit preisgekröntem schon mal gar nicht. „Wir brauchen Edelmetall“, sprach der Verleger, „den Schrott finden Sie im Internet.“
„Wir brauchen Edelmetall“ … das stimmt. Darum geht es Verlegern – um Gold, am Besten im eigenen Tresor. Wir Bürger brauchen Wissen, Informationen, Fakten – und gerne auch sehr unterschiedliche Meinungen zum Thema, das erleichtert das Finden der eigenen Position, die wir im Prinzip nicht gerne vom Kommentator der Tagesschau kritiklos übernehmen möchten. Den gesellschaftlichen Sinn reicher Verleger an sich können wir als Bürger nicht auf Anhieb erkennen.
Wird Information Ware und Mittel zum Zweck der Machterhaltung und persönlichen Bereicherung, ist die Pressefreiheit nur noch ein Witz. Es scheint bald sowieso nur noch die Freiheit einiger weniger Reicher zu sein, ihre Meinung auf vielen Kanälen gleichzeitig zu verbreiten, während der gemeine Bürger andächtig lauschen darf.
Wir brauchen deshalb Qualität in Journalismus und Berichterstattung mehr denn je. Aber wer kann das gewährleisten? Es gibt angestellte Journalisten, die ihr Tagewerk verrichten, indem sie Agenturmeldungen verwerten und die eigene Stellungnahme so weit wie möglich ausfallen lassen. Es gibt freie Journalisten, die darauf angewiesen sind, dass jemand ihre Artikel kauft. Gekauft wird oft nur, was stromlinienförmig ist. Und es gibt Blogger, die oft nicht über die Informationen und Mittel verfügen, welche den klassischen Medien zur Verfügung stehen. Genau an dieser Stelle offenbart sich des Pudels Kern: Das klassische Verständnis von Journalismus und Pressefreiheit taugt nicht mehr, um den Bedürfnissen der Informationsgesellschaft zu genügen.
Das schreibt Tobias Kläner in einem Kommentar auf Telemedicus und es bringt unsere Problematik auf den Punkt: Journalismus alleine reicht nicht mehr – und wehrt sich dagegen mit Gewalt.
Die internationale Hetzjagd auf Julien Assange ist nichts weiter als der endlich öffentlich erfolgende Angriff auf die Pressefreiheit. Hier sieht man, welche heimlichen Allianzen sich in den letzten Jahrzehnten gebildet haben und wer alles gezielt an der Zerstörung der demokratischen Ideale arbeitet. Doch darin liegen ungeahnte Möglichkeiten einer Wiedergeburt des demokratischen Ideals. Klar erkennbar werden auch notwendige Voraussetzungen, die die Widergeburt des demokratischen Ideals sicherstellen: die absolute Freiheit des Internet, um unbeeinflußte Informationsströme sicherzustellen – und ein bedingungsloses Grundeinkommen, das die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Bürger sicherstellt. Damit endet dann das Zeitalter der Diktatur des Herrschaftswissens und wir können uns aufmachen, wieder mal mehr Demokratie zu wagen. War doch das letzte mal auch ganz ok, oder?