Wirtschaftlich gesehen ist der momentane Zustand des Landes eigentlich erbärmlich – eigentlich, weil die Aufschwungjubelchöre alles überdecken. So berichtet heute die „Welt“:
Harte Arbeitswelt: Laut einer neuen Studie hat sich die Zahl der Erwerbstätigen mit einem Zweitjob vervierfacht – innerhalb von nur zwei Jahren.
Da merkt so langsam jeder, was es heißt, nur noch für die Rendite anderer zu arbeiten: es bleibt für einen selber nichts mehr übrig, laut Frankfurter Rundschau noch nicht mal für die Autowartung:
Immer mehr Autofahrer vernachlässigen die Wartung ihres Autos. Dahinter steckt laut Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer der Mangel an Geld: Die schlecht gewarteten Autos seien ein Spiegel der Einkommensverteilung.
Man merkt: viele arbeiten bald nur noch, um sich das Auto leisten zu können, das sie für die Fahrt zu Arbeit brauchen. Und der Traum vom endgültigen Ende der Qual – die Rente – rückt laut FAZ in weite Ferne:
Die Älteren haben Schulden von 1,8 Billionen Euro für Bund, Länder und Gemeinden aufgetürmt. Werden die Jüngeren irgendwann fragen, warum sie diese Schulden bedienen sollen? Vielleicht können die nach Köpfen halbierten Kohorten nachwachsender Jahrgänge später sogar für die Rente der Babyboomer nicht mehr aufkommen.
In anderen Ländern sieht es ebenfalls nicht besser aus: man friert laut News.at in Österreich:
Gerade in eisigen Zeiten wie diesen ist die Zahl wirklich schockierend: 330.000 Menschen in Österreich können sich eine beheizte Wohnung nicht leisten. Vier Prozent der heimischen Bevölkerung, davon 58.000 Kinder, müssen laut Armutskonferenz in den eigenen vier Wänden bitter frieren.
Und in den USA, der stärksten Volkswirtschaft der Welt, wandert laut Süddeutsche Zeitung eine ganze Generation in die Armut:
Besonders betroffen sind die Jüngsten: Über ein Fünftel aller Kinder lebt danach in Armut.
Kein Wunder, das laut Karl Weiss bei der Berliner Umschau die Zustimmung zum Kapitalismus langsam sinkt:
Nur 15% der Deutschen meinen, die Politiker würden ihren Aufgaben gerecht und bei den „Wirtschaftslenkern“ sind es 26%. Doch zu einem Desaster wurde das Ganze bei der Frage, ob sich das Wirtschaftssystem Kapitalismus (das natürlich nicht so genannt wird) bewährt habe. Vor 16 Jahren noch sagten da 73% „ja“, doch dann begann diese Zustimmung Jahr für Jahr zu bröckeln. Im April 2010 war die Zustimmung auf 54 % gesunken. Dann aber, in den letzten Monaten, brachen die Umfragewerte regelrecht weg: Nur 6 Monate später finden nur noch 48%, der Kapitalismus habe sich bewährt und damit spricht sich zum ersten Mal eine Mehrheit der Bevölkerung gegen das kapitalistische Wirtschaftssystem aus.
Als Lösung des Problems zieht nun Karl Weiss gleich ein besonderes Kaninchen aus der Tasche:
Wer jetzt noch nicht gemerkt hat, der Kapitalismus ist nicht „unser“ System, der sitzt immer noch der Gehirnwäsche von Fernsehen, Zeitungen und Magazinen auf. Und viele Menschen begnügen sich nicht mehr damit, das bestehende für schlecht zu erklären, sie suchen auch nach Alternativen. Und da kommt dann immer wieder der gute alte Karl Marx ins Blickfeld. Nicht umsonst hat er bei der großen Umfrage vor einiger Zeit nach dem „bedeutendsten Deutschen“ den zweiten Platz gemacht. Wer weiss, demnächst steht er auf dem ersten.
So ist es mit den Menschen: immer, wenn es nicht mehr weiter geht, suchen sie einen Despoten, der ihnen das heilige Utopia fertig gebacken vor die Füße legt, gerne sind es magische Gestalten, die im unaufhaltsamen mechanischen Lauf der Geschichte quasi von der Vorsehung ausgewählt worden sind, ihre historisch unabwendbare Rolle in der Weltgeschichte zu spielen. Das die Rhetorik von Feudalisten, Nationalisten und Kommunisten da sehr ähnlich ist, verwundert niemanden. Die Diktatur der eigenen Bande ist immer „gut“, die anderen Banden sind immer böse. Dabei scheint Marx mit einfachen Worten laut Wikipedia zu überzeugen:
Klassenherrschaft ist demnach für Marx keine zufällige, sondern eine gesetzmäßige Folge von Ausbeutung. Diese sei aber kein böser Wille der Kapitalisten, sondern ein Zwang: Um auf dem vom Kapital beherrschten Markt konkurrieren zu können, müssen sie lebendige Arbeit, die den Mehrwert produziert, ausbeuten. Die Konkurrenz führe zu immer größerer Kapitalkonzentration (Monopol– und Kartellbildung) und damit zwangsläufig zu Absatzkrisen und Kriegen. Sie zwinge die Kapitaleigner dazu, die Arbeitskosten so gering wie möglich zu halten und den größtmöglichen Profit anzustreben, um diesen in technologische Neuerungen investieren zu können. Dies wiederum führe zu einer immer stärkeren Bewusstwerdung der Notwendigkeit eines Umsturzes. Die sozialistische Revolution ist also nach Marx in den kapitalistischen Strukturen selbst angelegt. Damit erscheint die bürgerliche Gesellschaftsform nicht als moralisch zu verurteilende, sondern als nüchtern zu durchschauende Klassenherrschaftsform. Deren Analyse will die realen Ansatzpunkte zur Umwälzung der Macht- und Besitzverhältnisse erkennbar machen.
Es ist schön und tröstlich, wenn man als Junghegelianer christliche Heilserwartungen als automatischen Mechanismus auf die Geschichte überträgt – was jedoch, wenn Hegel falsch lag, was, wenn Ökonomie nicht alles ist, was das Handeln des Menschen bestimmt und was, wenn der Mensch an sich nicht so edel, gut und gerecht ist, wie er sein müßte, damit Marxismus funktioniert? Dann erleben wir, was wir erleben durften: der real existierende Sozialismus muß seine Bürger einsperren, damit sie nicht weglaufen, die Diktatur des Proletariats erzeugt Elend für alle, damit das Elend des Einzelnen nicht mehr so auffällt. Hebt man die Diktatur des Proletariats auf, blüht … unter anderem der Islam, nach sechzig Jahren Sowjeterziehung ein Phänomen, das viele für unmöglich gehalten haben.
Für Anhänger der marxistischen Theorie ist Geschichte nicht lebendig, sondern ein toter Mechanismus, in dem es keine Freiheit gibt und sich alles mit der Gesetzmäßigkeit von Automaten vollzieht. Aus dieser Perpektive heraus ist Marxismus eine Lehre, die die Leblosigkeit der Welt verabsolutiert und als Dogma tyrannisch in die Massen preßt – obwohl es dazu keine Notwendigkeit gibt. Kommunismus und Religion paßten Jahrtausende lang gut zusammen:
Die beherrschende Produktionsweise der europäisch-vorderasiatischen Antike war die Sklavenhaltergesellschaft, die meist religiös begründet wurde. Ausnahme war im Vorderen Orient nur das frühe, als loserZwölfstämmebund organisierte Israel. Dessen Tora verlangt die regelmäßige Umverteilung des Bodenbesitzes zugunsten der Besitzlosen als Konsequenz des Glaubens an JHWH, den Sklavenbefreier (Lev 25). An dieses Recht erinnerten sozialkritische Propheten Israels bis hin zu Jesus von Nazaret (Lk 4,16 ff.), so dass die Jerusalemer Urgemeinde in Anknüpfung an jüdische Armenfürsorge eine urchristliche Gütergemeinschaft für ihre Mitglieder praktizierte.
Aber was von „den Juden“ kommt ist hierzulande nie gut angekommen – siehe Wikipedia:
Micha Brumlik schreibt unter Verweis auf Marx’ Briefe: „Marx war zeit seines Lebens – zumindest persönlich – ein glühender Antisemit.“ Jedoch fänden sich auch in seinem theoretischen Werk, so vor allem in Zur Judenfrage, antisemitische Thesen.[21]
Nun wird Marx mitlerweile auch sehr von Neoliberalen geschätzt, was manche nicht hindert, ihn bei jeder Gelegenheit als „Erlöser“ aus dem Hut zu zaubern. Was man ganz vergißt ist: der Klassenkampf selber existiert nicht mehr. Seine ökonomische Analyse des 19. Jahrhunderts greift nicht mehr, wenn es Rentenkassen und Versicherungen sind, die Kapitalbildung an vorderster Front betreiben und der idealisierte Herrenmenschentypus des „Proletariers“ einem landesweiten Bettlertum gewichen ist – Menschen, die von Sozialleistungen der Gemeinschaft abhängig sind. War der Arbeiter noch ein Machtfaktor im Wirtschaftsprozess, so gehört er heute als „Arbeitsplatzbesitzer“ auf die andere Seite – die Seite der asozialen Ausbeuter und Egomanen. Seine Diktatur – deren Folgen vielen noch in deutlicher Erinnerung ist – verheißt nicht mehr Glück und Leben als die Diktatur des Kapitals. Die TAZ formuliert dies wie folgt:
Jene am Rand der Gesellschaft sind also angewiesen auf das politisch-solidarische Handeln institutioneller Akteure. Doch auf die war 2010 kein Verlass. Gerade die Gewerkschaften, die anlässlich des Sparprogramms der Bundesregierung einen heißen Herbst angekündigt hatten, haben ihre gesellschaftliche Aufgabe nicht wahrgenommen. Sie sind die Handelsvertreter der von der Bundesregierung vermeintlich verschonten Arbeitsplatzbesitzer.
In der leblosen Welt des Materialismus ist die Mechanisierung der Gesellschaft logische Konsequenz gesellschaftlicher Entwicklung und der Mensch wird zum „Kostenfaktor auf zwei Beinen“. Es ist betrüblich zu sehen, das – liest man die Kommentare zu dem TAZ-Artikel – immer noch Dogmen und Tabus das Denken beherrschen und Gewerkschaftskritik als solche schon gleich einen Platz auf der nachrevolutionären schwarzen Liste besorgt.
Dabei gibt es kein revolutionäres Potential mehr, das der kleinen Elite pseudolinker Führer einen sicheren Posten an den Fleischtöpfen der Maschinenwelt sichert – da gibt es nur noch „Lumpenproletariat“, das sich irgendwie über Wasser halten muß (zitiert bei Wikipedia):
Zu diesem „Auswurf, Abfall, Abhub aller Klassen“ zählte Marx „Vagabunden, entlassene Soldaten, entlassene Zuchthaussträflinge, entlaufene Galeerensklaven, Gauner, Gaukler, Tagediebe, Taschendiebe, Taschenspieler, Spieler, Zuhälter, Bordellhalter, Lastträger, Literaten, Orgeldreher, Lumpensammler, Scherenschleifer, Kesselflicker, Bettler, kurz, die ganze unbestimmte, aufgelöste, hin- und hergeworfene Masse, die die Franzosen la bohème nennen“ (MEW 8, 160f). Im Kommunistischen Manifest beschrieben Marx/Engels die subproletarischen Gruppen als „passive Verfaulung der untersten Schichten der alten Gesellschaft“.
Es ist kaum zu glauben, mit welcher Abscheu hier über Menschen gesprochen wird. Dort, wo der heilige Vollzeitarbeitsplatz abgeschafft wird, werden wir aber alle zu „Lumpenproletariat“ – und man bekommt eine Ahnung davon, das damals schon die Grundlage für den „Prolet-Arier“ geschaffen wurde, der sich von dem National-Arier in seiner Verachtung für Schwächere kaum unterschied. Was Marx früher „Lumpenproletariat“ nannte, nennt man heute „Hartz IV“. Es wird mit der gleichen Verachtung überzogen … und da wundert es nicht mehr, das in Wirklichkeit niemand sich für diese „Schicht“ interessiert, einer Schicht, der man gerne Marx als Opium (oder Karotte) vor die Nase hält. Dabei wartet da auch nur kostenminimierende Lagerhaltung für menschlichen Sondermüll.
Der Ausdruck „Asoziale“ war hauptsächlich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine politisch genutzte Sammelbezeichnung für als minderwertig eingeschätzte Menschen aus der sozialen Unterschicht. Als „Asoziale“ wurden und werden teilweise bis heute insbesondere Bettler, Landstreicher, Obdachlose, Prostituierte, Zuhälter, Fürsorgeempfänger, Suchtkranke (z. B. Alkoholiker), Homosexuelle, Zigeuner und andere Unangepasste bezeichnet. (siehe Wikipedia)
Das Ende des Kapitalismus ist alternativlos – in vielerlei Hinsicht. Einerseits ist er am Ende. Andererseits gibt es keine Alternative, solange man an den Grundparametern des Denkens nichts ändert: die Lagerhaltung von Menschen in Plattenbauten ist die Konsequenz des Materialismus ebenso wie die kostengünstige Herrschaftsform des Absolutismus, wobei es für uns Lumpen einerlei ist, ob dort oben ein König oder ein Generalsekretär diktiert, wie wir unseren Alltag zu gestalten haben.
Sicherlich kann Religion als Nebenwirkung die Eliminierung revolutionären Potentials innehaben. Aber „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“ ist eine ethisch wertvollere Maxime als die Formulierung präfaschistischer Formate wie „Lumpenproletariat“ … eine Sichtweise, die in den Lagern des Dritten Reiches sehr häßliche Nebenwirkungen hatte und im Prinzip bis heute rechte wie linke politische Systeme infiziert.
Politische Utopien, die „Herrenmenschen“ – in welcher Form auch immer – „Untermenschen“ gegenüberstellen, sind niemals mit Menschenrechten kompatibel, auch wenn sie dieselben noch so groß auf ihre Fahnen schreiben. Und wenn es nicht gelingt, konstruktive Alternativen zum Materialismus zu formulieren … dann wird der militante Islam die Alternative sein, die weltweit den dogmatischen Materialismus überwindet.
Demokratie jedoch … bleibt ein Traum aus dem alten Griechenland. Aber die waren ja auch schwul und somit asozial.