Wenn man nicht Teil der „Gamer“-Szene ist, reagiert man wohl verblüffent auf die Nachricht, das ein Spiel alle Entertainmentrekorde geschlagen hat:
So erfolgreich war kein Spiel, kein Film und kein Buch je zuvor: Das neue „Call of Duty“ hat alle Verkaufsrekorde gebrochen – trotz herber Kritik.
So jedenfalls die „Welt“.
Da fliegen Gewehrkugeln zu Rockmusik in den Kopf eines Vietnamesen, Blut spritzt, Kehlen müssen durchgeschnitten werden. Zudem vertritt das Spiel einen knüppelharten konservativen Militarismus, der Spieler muss etwa Kuba infiltrieren und die geheimsten Methoden der USA zur Zeit des Kalten Krieges bedenkenlos unterstützen.
Kein Wunder, das dieses Spiel sogar politische Folgen hat:
Bei „Black Ops“ (der Name bezeichnet verdeckte Operationen kleiner Spezialeinheiten) geht die Kritik neue, verstörende Wege. So hat Kuba sich bitter über das Spiel beschwert. Dort ist eine lange Szene des Spiels angesiedelt: Der Spieler muss noch vor der Zeit der (echten) gescheiterten Invasion in die Schweinebucht, es ist 1961, man soll den noch jungen Revolutionsführers Fidel Castro umbringen.
Die kubanischen Medien erregten sich ungewöhnlich. Das Spiel sei „doppelt pervers“, indem es Attentate glorifiziere und bei Kindern und Heranwachsenden in Nordamerika „soziopathische Haltungen“ fördere. Was die USA in 50 Jahren nicht geschafft hätten, werde nun virtuell versucht, hieß es auf der staatlichen Website Cubadebate.
Ob solche Spiele soziopathische Haltungen fördern und dazu führen, das man seinen Nachbarn erschießt, ist umstritten. Aber etwas anderes kommt in den Fokus der Öffentlichkeit, obwohl es doch verpönt ist, darüber überhaupt nur nachzudenken:
Der Vorteil der sogenannten Black Operations: Der ausführende Staat hat die Möglichkeit, jedwede Beteiligung an den Missionen zu leugnen.
Das ist natürlich schön für den Staat, der den Auftrag gibt – und schlecht für alle, die bei der Ausführung des Auftrags im Wege steht. „Black Ops“ sind die Mutter aller Verschwörungstheorien, gäbe es sie nicht, so würde auch niemand auf die Idee kommen, das bei nine-eleven was ganz falsch gelaufen ist. Unter „Black Ops“ laufen jene Killer – auch „Schakale“ genannt – die die Welt laut John Perkins für die Interessen der Konzerne gefügig schießen. Globalisierung heißt letztlich Amerikanisierung – und das heißt wiederum Weltherrschaft der Korporatokratie. Im Kampf gegen das Böse sind alle Mittel recht. Russen, Kubaner, Vietnamesen … alles laufende Zielscheiben. Nun – vorher waren es Deutsche.
„There is a Soldier in all of us“ – so lautet ein Trailer der offiziellen Webseite des Spiels. Brave Bürger ballern dort herum was das Zeug hält – ich persönlich fand die Bilder verstörender als die „echten“ Bilder aus dem Spiel. Sie erinnerten mit an Erfurt oder Winnenden.
Was macht so ein Spiel so erfolgreich? Was fasziniert Spieler? Was ist aus der Debatte geworden, das alle Soldaten Mörder sind – und darf man auch mal die Kollateralschäden nach ihrer Meinung zu dem Satz fragen?
Die Jagd auf Menschen – so ein hartnäckiges Gerücht – soll ja spannend sein, der Jagd- und Sammeltrieb bei Menschen sehr ausgeprägt sein. Das sieht man ja täglich bei Aldi, Lidl und E-Bay, so das man solche Spiele zum Ausleben der Triebe eigentlich nicht braucht – shoppen ist wohl im Prinzip kaum was anderes.
Überraschenderweise fand ich einen Hinweis auf Videospiele in einem Merkblatt zur Traumatherapie – also exakt jener Therapie, die eingesetzt wird, um Soldaten mit Kriegstraumata zu behandeln. Hier wird darauf hingewiesen, das Videospiele „geschützte Räume“ schaffen, Räume, die man anders als Fernsehen komplett steuern und bestimmen kann (falls der Schwierigkeitsgrad nicht zu hoch ist).
Ich weiß nicht, ob „Call of Duty: Black Ops“ für die Traumatherapie geeignet ist – aber die Sicht der Traumatherapie eröffnet eine neue Perspektive auf die Motivation der Spieler. Es gibt nicht nur einen „geschützten Raum“ zwischen Bildschirm und Spieler, innerhalb dieses Raumes ist jeder sehr wehrhaft. Wovor der Raum schützt?
Vor der Wirklichkeit, die über einem hereinbricht, vor dem Zusammenbrechen der sozialen Strukturen der Realität, einem Zusammenbruch, dem man scheinbar hilflos gegenübersteht – hier eine aktuelle Entwicklung aus England, von der die „Zeit“ berichtet:
Parallel zu den Einschnitten soll die Höchstgrenze für Studiengebühren steigen, von derzeit 3290 auf bis zu 9000 Pfund im Jahr, über 10.000 Euro. Staatliche Kredite helfen dabei, die Studiengebühren und Lebenshaltungskosten zu finanzieren.
So etwas bedeutet wohl den Tod der Geisteswissenschaften, mit einer Zunahme von Verblödung und Verrohung ist zu rechnen.
Man denkt unwillkürlich an Marx und seinen durch Feuerbach inspirierten Satz: „die Religion ist Opium fürs Volk“, wenn man an die Wirkung der Videospiele in diesem Zusammenhang denkt, könnte man den Satz auch auf diese Spiele ummüntzen. Dabei ist es wohl auch gerade die Erfahrung mit linker Politik, mit dem, was aus der Revolution geworden ist, die die Menschen in geschützte Räume treibt: aus der Leibeigenschaft für den Adeligen ist die Arbeitspflicht fürs Kollektiv geworden – was im Endeffekt für den Menschen auf das Gleiche hinausläuft: er soll umsonst arbeiten, damit andere das Leben genießen können. Mit der Agenda 2010 zeigte die Demokratie, das auch sie einen großen Hunger auf Gratisarbeit ihrer Mitglieder hat – der Praktikumswahn zeigte ein Übriges.
Machtstrukturen sind heute andere als zu Zeiten von Karl Marx. Heute bestimmen „Black Ops“ die Politik – und man erfährt nur von ihnen, wenn sie völlig aus dem Ruder laufen. Aufklärung ist unerwünscht – die Tatsache, das Kennedy nach neuesten ballistischen Untersuchungen von zwei Schützen unter Feuer genommen wurde, zeigt, das die amtliche Einzeltätertheorie falsch ist, was aber wirklich geschehen ist, interessiert keinen mehr … ebenso bei nine-eleven.
Macht man die Nachrichten an, wird man überschüttet mit Lügen und Irrationalitäten. Morgens braucht Irland Geld, mittags braucht es kein Geld um abends dann sehr viel Geld zu brauchen. Millionen Arbeitslose stehen auf der Straße, wir müssen aber alle länger unseren Arbeitsplatz besetzen, damit die für sich ja keine Rentenansprüche erwerben. Arbeitslosigkeit und Zweifel an Regierungsmythen werden fast zu Straftaten, auf jeden Fall wird beides gesamtgesellschaftlich mit Verachtung gestraft – wobei als Nebenwirkung Menschlichkeit und die Tradition der Aufklärung auf der Strecke bleiben.
Und da soll ich junge Menschen verurteilen, die sich in ihren vier Wänden verbarrikadieren und sich einen therapeutisch wirksamen „sicheren Raum“ schaffen, um den alltäglichen Wahnsinn besser ertragen zu können? Wäre mal spannend, zu untersuchen, ob „Gamer“ weniger an Depressionen leiden als TV-Konsumenten. Ich schätze mal … eher nicht.
Politische Bewegungen, die die Mobilisierbarkeit der Massen als Lebensgrundlage brauchen, stehen solchen Entwicklungen wahrscheinlich feindlich gegenüber wie Marx der Religion, denn motivierbar ist da nicht mehr viel. Jedoch sollte man – so meine Meinung – berücksichtigen, warum nicht. Alle Träume von der proletarischen Revolution im 21. Jahrhundert scheitern letztlich … an der Möglichkeit des nuklearen Holocaust. Die Atombombe bedeutet für Politik, was Hartz IV für den Arbeitsmarkt bedeutet. Weit vorher aber befindet sich der Normalbürger – weit entfernt, sich selbst der Kaste der Proletarier zuzurechnen – in einer nie dagewesenen Abhängigkeit, die gleichzeitig mit einer luxuriösen Vollversorgung einhergeht – gemessen am Weltdurchschnitt. Der duldsame Deutsche bekommt da zwar wie üblich weniger und aber fühlt sich dennoch wie ein Ackermann.
Unsere ganze Nahrungsmittelversorgung ist in der Hand einiger weniger Menschen. Unsere Medien sind in der Hand einiger weniger Menschen. Unsere Technik läuft nur dank einiger weniger Spezialisten. Der Korporatokratie braucht nicht mehr den Gemeindebüttel als Steuereintreiber durch die Gegend schicken, Geld wird heute viel eleganter per Knopfdruck erbeutet. Somit erübrigen sich auch die Feuergefechte an den Barrikaden mit den Gemeindebütteln, die Infrastruktur hat sich soweit geändert, das unsere Bauern ohne EU-Subventionen verhungern würden.
Die Menschen hängen am Tropf … und das ist eine häßliche Erfahrung. Einen Monat lang die Bankschalter zumachen und der Hunger besorgt den Rest. Diese Abhängigkeit ist vielen Menschen bewußt … und eine Form, die man aus einer gewissen Perspektive auch Luxussklaverei nennen könnte. Woher da nun das Vertrauen auf die Machbarkeit des großen Volksaufstandes kommen sollte, bleibt mir ein Rätsel, zumal das regelmäßige Spiel mit den nuklearen Muskeln des Mutterlandes der Korporatokratie, des Konzernterrors, in den Medien immer dann zu beobachten ist, wenn die realen „Black Ops“ mal wieder versagt haben.
Da scheint es mir sinnvoller zu sein, sich in einen sicheren Raum zurückzuziehen, der auch vor den Auswirkungen der Konzernpropaganda schützt, bis der Sturm vorüber ist und man sieht, was übrig geblieben ist. War es nicht Mao, der meinte, das der Revolutionär aus China sich zurückzieht, wenn der Sturm kommt, wie das Gras das vom Wind gebeugt wird – anders als die deutsche Eiche, die sich ihm in den Weg stellt und gebrochen wird?
Worin der Sturm besteht?
Im fortschreitenden Umbau der Gesellschaft zur Anpassung an Konzernansprüche – zum Beispiel zur Finanzierung der Spekulationsverluste der Finanzspielereien und zur gezielten Züchtung einer Millionärs-Herrenmenschenkaste. Was da letztlich für eine Gesellschaft auf uns wartet, kann ich nicht sagen, die Prognosen sind da uneinheitlich. Womit man jedoch sicher rechnen kann ist viel mehr Arbeit für viel weniger Geld, soviel Prophezeiung wage ich mal. Und Spieleverbot für Arbeitslose … die laut Spiegel den Strom schon jetzt schon nicht bezahlen können:
Hunderte Stromanbieter erhöhen die Preise – jetzt zeigt eine neue Statistik: Für Arbeitslose wird das besonders teuer. Sie müssen viel mehr für Energie zahlen, als im Hartz-IV-Regelsatz vorgesehen ist.
Dabei könnten die den sicheren Schutzraum sicher gut gebrauchen.
Und das das Versenken in Videospiele eine Form des Widerstandes sein kann, eines Widerstandes gegen ein reales Leben, das seine Reize, seinen Sinn, seine optimistischen Zukunftsperspektiven und Utopien verloren hat und dem Individuum nur noch einen Platz als Nutzvieh bereithält (bei allerdings angemessener Pflege), ist eine Perspektive, die sich wohl ebenso durchsetzen muß wie jene, das Videospiele auch Kunst sein können.
Weltflucht – kann auch Widerstand sein … und ärgert in erster Linie jene, die als selbsternannte oder staatliche bezahlte (Gefängnis)Wärter darauf achten, das niemand aus der Reihe tanzt und alle Mitglied der Partei sein – welcher auch immer ist fast schon egal. Hauptsache, man bleibt unter Aufsicht.