Volkswirtschaft

USA today … und Deutschland morgen

Von hier aus gelangen Sie auf die Autorenseite von und koennen alle kommenen Artikel mit "Link speichern unter" abonieren.

Ich habe da in den weiten des Internets mal was gefunden:

Vom neuen Aufschwung, den die Ökonomen beschwören, spürt Brown nicht viel. Mehrmals die Woche hockt sie bis zu acht Stunden im Warteraum ihres „Job Centers“, ihren säuberlichen Lebenslauf in der Tasche, nur um zu Trainingsprogrammen und Bewerbungsgesprächen geschickt zu werden, die zu nichts führen. „Es gibt keine Arbeit“, seufzt sie. „Zu viele Leute. Zu wenige Stellen.“

Wenn wir jetzt ein Ratespiel veranstalten würden … aus welchem Land spricht die gute Frau Brown zu uns?
Neuer unsichtbarer Aufschwung, Job-Center, Trainingsprogramme für Arbeitslose … klar, das muß Deutschland sein.

Ist es aber nicht.

Das Zitat kommt aus einem Spiegelartikel über die Zustände in den USA.

„Wir sehen einen dramatischen Anstieg von Klienten“, sagt WSCAH-Direktorin Doreen Wohl. „So schlimm war es in unserer 31-jährigen Geschichte noch nie. Dies ist eine wahre Krise.“

Eine fast wortgleiche Formulierung las ich letztens aus dem Munde des Leiters eines Gebrauchtmöbelladens in der Eifel, die auch ihre ganz eigene Form von „Aufschwung“ erleben dürfen.

An der Amerikanisierung der Verhältnisse in Deutschland arbeiten viele – mit Erfolg, wie man sieht. Job-Center hier, Job-Center da. Wir sind hier noch nicht ganz so weit wie die … aber auf gutem Kurs dahin, getragen von dem Wind, den „deutsche Familienunternehmer“ letztlich noch durch ihren Institutsleiter in der WELT gemacht haben, den CDU/CSU/SPD/GRÜNE/FDP vom Parlament aus mittragen und den viele viele Mitglieder geschlossener Verbände wie der Atlantik-Brücke nach Deutschland bringen.

Es ist jedoch nicht nur der Aufschwung dank Pump, der über jahrzehntelang die Augen deutscher Politiker blendete, es ist vor allem auch die Gier der Finanzmärkte nach den Geldern des deutschen Sozialstaates. Die Arbeitslosenversicherung hatte man dank Schröder geknackt, auch hier laufen US-amerikanische Programme ab, die vor allem eins bringen: Geld in die Kassen privater Finanzinvestoren, die sich ein leistungsloses Einkommen der Luxusklasse erträumen – auf Kosten der Verarmung ganzer Gesellschaftsschichten.

Statt wieder Arbeit zu finden, verirrte sich Brown immer mehr im Labyrinth des US-Sozialhilfewesens. Bill Clintons „Welfare Reform“ von 1996 lagerte die Sozialhilfe an Privatfirmen aus, die sie als Profitgeschäft betreiben. Sie unterwerfen die Antragsteller so strengen Kriterien, dass „die Mehrzahl sofort abgelehnt wird“, wie die FPWA kürzlich resümierte. Viele andere geben freiwillig auf.

Nun, bei uns ist die ARGE … noch nicht ganz privat. Aber die privaten Arbeitsvermittler haben wir schon mal.

An die Gelder der Kranken- und Rentenversicherung wollten sie damals auch noch heran – und ich denke, die haben da nicht aufgegeben. Krankenversicherung wird mehr und mehr Mittel der Arztbereicherung denn der Patientenheilung, erst heute wurde bekannt, das unser Minister den Ärzten nach der Milliarde nochmal einen Nachschlag von 120 Millionen Euro gegeben hat. Wäre ja ok, wenn es nicht … das gleiche „Sozialbudget“ wäre, in dem auch (jedenfalls in den Hetzmedien und Politikerreden) die Arbeitslosen erscheinen und wir uns jetzt schon drauf einstellen können, im Herbst 2011 wieder etwas über das „ausufernde Sozialbudget“ lesen zu können, das zu neuen „alternativlosen Reformen“ führen wird.

Ein Bruchteil von dem, was überversorgte Ärzte jetzt oben drauf bekommen, hätte das Los der Kinder arbeitsloser Eltern deutlich mindern können … aber wir haben unsere Unterschicht ja gerne. Wenn man sie ihm Fernsehen sieht, dann kann man sich richtig pudelwohl fühlen, und sich sagen, wie gut es einem doch noch geht, bei Lidl kann man ihnen Essen spendieren und sich selbst wie ein spendabler Milliardär fühlen und wenn man sie dann noch mal auf einen Gang zur ARGE begleitet, dann kann man sich wie Che-Guevarra persönlich vorkommen.

Das Prekariat hat darüber hinaus auch eine sehr wichtige Funktion hinsichtlich der Disziplinierung von Arbeitern, Angestellten und Gewerkschaften – erfolgreich, wie man am aktuell tobenden „heißen Herbst“ der Gewerkschaften sieht.

Dabei ist das Modell USA gescheitert. Der zweitgrößte Anlagenversicherer Ambac steht gerade vor der Pleite, die Bankenpleiten rollen weiter … und schon längst hat das Modell USA seinen demokratischen Reiz verloren. International tritt es auf wie der Satan persönlich – und wird von vielen deshalb auch so genannt.

Wo sind eigentlich die USA von 1945 geblieben? Jene entspannten Jungs, die uns Schokolade, Coke, Kaugummi und die Demokratie geschenkt haben? Wo ist dieser glorreiche Leutturm der Freiheit geblieben, der einst die ganze Welt inspirierte? Wie konnte es sein, das diese einst große Nation zum „Satan“ wurde, der jeden tyrannisiert, der noch einen Dollar in der Tasche haben könnte? Wie kann es sein, das gerade sie Folter wieder gesellschaftsfähig gemacht haben, Angriffskriegen eine neue Legitimation gaben und mit Bomben um sich schmeißen wie früher mit Kaugummis?

Seit einiger Zeit – genau genommen seit der Wahl Obamas zum Präsidenten – glaube ich weniger an Verschwörungstheorien, die die Regierung mit ins Spiel bringen. Wäre Bush involviert, so hätte er die Macht niemals abgeben dürfen. Man hätte eine Militärdiktatur errichten müssen … und die Gelegenheit wäre günstig gewesen. Dann kam Obama und die Wahrscheinlichkeiten änderten sich. Zwar schien mir die offizielle Verschwörungstheorie nicht glaubhafter, aber die Regierungsbeteiligung wurde unwahrscheinlicher. Kein Täter in diesen Dimensionen darf sich erlauben, die absolute Macht abzugeben … erst recht nicht einem Gegner.

Genau genommen hat Obama aber nur einen Müllhaufen bekommen, ein ausgesaugtes Opfer, eine leere Hülle, die die Korporatokratie nicht mehr braucht. Man braucht das Volk nicht mehr. Es ist über. Es kostet nur Geld, das sich virtuell wie schneller vermehrt, als durch lästige Firmengründungen. Kriege gegen Währungen zu führen bringt viel mehr Geld ein, als eine Autofirma aufzubauen. Waffenhandel auch. Aus der Sicht der Renditeoptimierer sind lebende Rentner ein Gräuel – die essen nur und leisten nichts.

Das Kapital macht einen großen Bogen um die USA

Investoren haben das Interesse an Amerika verloren, tragen ihr Geld lieber nach Europa und Asien. Dabei schreiben US-Firmen gerade Rekordgewinne.

So schreibt die WELT.

Im Handelsblatt findet man einen weiteren Grund für die Abkehr des Kapitals von den USA:

Das Ich-kaufe-deine-Schulden-Spiel ist im Finanzjargon mit dem angenehm klingenden Begriff „Quantitative Easing“ umschrieben, kurz „QE“. Letztlich bedeutet es nicht anderes, als dass die Fed Geld druckt und damit die Finanzmärkte flutet. Bereits Mittwoch könnte die US-Notenbank erneut die Presse anwerfen. Ohne eine jährliche Schuldendroge von mehr als 1000 Mrd. Dollar käme der Staat mittlerweile nicht mehr über die Runden.

Das muss bezahlt werden. Einen Vorgeschmack auf einen immer gierigeren Staat haben viele Bürger bereits bekommen. In Deutschland etwa werden Raucher und Flugreisende zur Kasse gebeten. In Amerika führen die klammen Kassen zu kuriosen Situationen: Ein Autofahrer in Colorado wurde in Handschellen abgeführt, weil er eine DVD aus einer öffentlichen Bibliothek nicht rechtzeitig zurückgegeben hatte. Zwei Geldeintreiber rückten in Kalifornien dem Besitzer einer Waschstraße zu Leibe, weil der vier Cents an Steuern schuldig war.

Die Amerikaner sind besonders klamm, blickt man auf die Billionenlöcher im Staatshaushalt. Für neue Schulden müssen neue Anleihen aufgelegt werden. Doch solche gewaltigen Mengen kann nur noch die Notenbank selbst aufkaufen.

Möglicherweise ist es mitlerweile völlig egal, wer da den Präsidentendarsteller macht.

Und dieses Land war Vorbild für den Abbau unseres Sozialstaates bzw. den Umbau des ganzen Landes in Richtung Klein-USA. Eliteuniversitäten wie in den USA haben wir bekommen, TV-Duelle wie in den USA haben wir seit 2002, private Haftanstalten und Studiengebühren ebenfalls.

Ganz vorne beim Umbau der Gesellschaft dabei ist Professor Habermann, der letztens in der WELT dafür gesorgt hat, das die Kommentarfunktion zu seinem Artikel geschlossen wurde: der öffentliche Aufruf nach Demütigung von Arbeitslosen zwecks Leistungsoptimierung wurde noch nicht so begeistert aufgenommen wie gewünscht.

Ganz vorne beim Umbau dabei ist auch die Bertelsmannstiftung, hier bei Rossäpfel-Theorie:

Das Bertelsmann-Vorbild für die Umverteilung des Volkseinkommens nach oben ist offenbar die asozialen Kahlschlagspolitik von Ronald Reagan und George W. Bush in den USA, denn die rangieren in Bertelsmanns Standort-Ranking deutlich vor den erfolgreichen Sozialstaaten Dänemark und Schweden. Vor den USA steht bei Bertelsmann nur noch der Subventions- und Steuerdumping-Tiger Irland. Dagegen rangiert Deutschland durch die Konsumdrosselung der Agenda 2010 mit Hilfe der Bertelsmann-„Stiftung“ in der Tat hinter den skandinavischen Ländern (sh. Harald Schumann: „Macht ohne Mandat“, tagesspiegel.de, 25.9.2006, und „Standort-Check Deutschland 2007“, Stand Herbst 2006). Die Bedeutung des „Standort-Checks“ liegt darin, dass er auch von den neoliberalen Meinungsmachern massenhaft unkritisch nachgeplappert wird als Argument für die Umverteilung in ihre eigenen Taschen (sh. z.B. „ERFOLGREICHSTE INDUSTRIENATIONEN – Deutschland ganz unten“, spiegel.de, 20.4.2006). Man hört zwar von der SPD manchmal die Mahnung, den Standort nicht kaputtzureden, aber auch diese Partei betreibt weiterhin die Standort-Schädigung durch Umverteilung nach oben (sh. hier rossaepfel-theorie.de).

Hier findet man auch was zur Mont Pelerin Gesellschaft, deren stolzes Mitglied jener Professor Habermann ist:

Die deutschen Neoliberalen waren von Anfang an in internationalen Netz- werken aktiv. Einige der Aktivisten (Rüstow, Röpke etc.) waren Mitglied in der 1947 u.a. von Friedrich August von Hayek und Milton Friedman gegründeten Mont Pèlerin Gesellschaft. MPS-Mitglieder waren mittlerweile an mehr als 100 Think Tank Gründungen weltweit beteiligt. Think Tanks werden üblicherweise als angelsächsischer Typus ideologischer Wissens-, Beeinflussungs- und Hegemonieapparate diskutiert. Aber bereits bei der systematischen Verankerung der „sozialen Marktwirtschaft“ war mit der „Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft“ ein bis heute aktiver, zielgerichtet agierender Think Tank stark beteiligt. Der Vortrag skizziert die neoliberalen Netzwerke von Intellektuellen und Think Tanks und deren eng miteinander verknüpften, aber organisatorisch getrennten wissenschaftlich-akademischen und populären Einflussstrategien dar.

Und diese Netzwerke brauchen sich im demokratische Prozesse wie Wahlen oder demokratische Rituale wie Demonstrationen nicht mehr kümmern. Sie weben einfach die Führungsspitzen von Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und Verbänden ein – schon hat man seine Mehrheiten: in den Medien, im Parlament, in der Gesellschaft.

Das schöne an dieser Entwicklung ist: wir können unseren Arbeitslosen jetzt schon einen Ausblick auf die Zukunft gönnen (und zukünftigen Investoren einen Ausblick auf ein interessantes Investment geben), noch mal Frau Brown aus Spiegel-Online:

Zumindest sitzt sie, dank ihrer nachsichtigen Vermieterin, nicht auf der Straße. Doch das Haus steht zum Verkauf – wer weiß, wie es der neue Besitzer hält. Vor den Obdachlosenasylen graut es ihr. Gerade erst hat sie eine Freundin, die trotz MBA-Abschluss verarmt sei, in einem besucht: „Wie im Knast, mit Gittern und Sperrstunde.“



Die letzten 100 Artikel