Politik

AUFSCHWUNG! Mehr Arbeit, weniger Geld und Pleiten für alle!

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Wir haben ja jetzt mal wieder Aufschwung, was ich persönlich sehr begrüße.  Wohlstand verblödet zwar, macht schwach und abhängig, aber er schützt meistens erfolgreich vor Hunger, es sei denn, man lebt in einem Land, das Alter, Mutterschaft oder geringere Leistungsfähigkeit unter Strafe – zur Not auch Todesstrafe – stellt.

Gut das wir in zivilisierten, demokratischen Sphären der Welt  leben, wo so etwas überhaupt nicht denkbar ist und die Menschenrechte vorbildlich gelebt werden. Bei uns ist alles super … sofern man nicht genauer hinschaut.

Gut, die führenden DAX-Konzerne haben wegen der Krise 50000 Vollzeitarbeitsplätze vernichtet, aber das ist ja kein Problem: wir haben ja Aufschwung und in diesem überwältigendem Glücksgefühl, dem Tod durch Regelleistungskürzungen gerade nochmal von der Schippe gesprungen zu sein, kann man schon mal von den Leuten erwarten, das sie mehr anpacken: die 45-Stunden-Woche ist mitlerweile in breiter Front akzeptiert, hier mal laut Manager Magazin:

Arbeitnehmer müssen sich angesichts des Fachkräftemangels auf längere Wochenarbeitszeiten einstellen. Sogar bis zu 45 Stunden pro Woche könnten bald zur Regel werden, damit der Mangel an Mitarbeitern ausgeglichen wird, erwarten Wirtschaftsexperten. „Mittelfristig geht es nicht ohne längere Arbeitszeiten. 37,5- oder 38-Stunden-Wochen sind in jedem Fall vorbei“, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Klaus Zimmermann, der „Bild“-Zeitung.

Mehr Geld gibt es natürlich nicht.  Sowas denken nur blöde Arbeitnehmer, die keine Ahnung von der Komplexheit weltwirtschaftlicher Zusammenhänge haben.  Wir haben zwar Aufschwung, aber schaut man – wie das Handelsblatt – genauer hin, stellt man fest: Geld ist trotzdem keins da:

Laut Ratingagentur Moodys müssen europäische Unternehmen mit mangelhafter Kreditwürdigkeit zwischen 2011 und 2014 rund 300 Milliarden Euro Schulden zurückzahlen. Einen Großteil ihres Kapitalbedarfs werden sie über neue Schuldscheine decken wollen.

Diese finanzielle Besonderheit von Unternehmen führt dann schon mal dazu, das sie mitten im Aufschwung Pleite gehen, wie das Manager Magazin berichtet:

Die Schuldenlast war zu groß: Der angeschlagene Autozulieferer Honsel hat Insolvenz angemeldet. Haupteigner ist der Finanzinvestor RHJ, der Honsel eine enorme Kreditlast aufgebürdet hatte. Trotz eines teilweisen Schuldenerlasses fehlte Honsel zuletzt Geld für Investitionen. Viele der 4000 Mitarbeiter hoffen nun, durch die Insolvenz den Finanzinvestor loszuwerden.

Gefressen vom Finanzmarkt … und der nicht enden wollenden Gier nach leistungslosem Einkommen, so könnte man es auch formulieren. Irgendwo setzt jemand einen Zielpunkt (Kapitalrendite von 25%, zum Beispiel, was heißt, das man ab einem Kapital von 100000 Euro nicht mehr arbeiten braucht – wenn man bescheiden zu leben versteht) … und dann geht in der ganzen Maschine die Rennerei los. Geld bekommt nur noch der, der Traumrenditen erwirtschaftet,  wer es nicht schafft, wird zum sinnlosen Verrosten in die Ecke gestellt….und deshalb haben wir trotz Aufschwung laut Manager Magazin sehr seltsame Erscheinungen in der Geschäftswelt, eine Erosion der guten Sitten, die Geschäfte generell schwierig machen:

Das Jammern gehört natürlich irgendwie zum guten Kaufmannston. Aber in den letzten zwei, drei Monaten nimmt das Ganze extreme Züge an. Die Zulieferer überlegen inzwischen bei gewissen Geschäften, ob sie sie überhaupt noch machen wollen. Das gab es in der Form früher nicht so gehäuft – punktuell ja, aber nicht auf breiter Front. Die Autohersteller verstoßen mit ihrer Taktik immer häufiger gegen die Regeln: Sie ziehen bereits erteilte Aufträge wieder zurück; sie verlangen Preisreduzierungen als Bedingung für einen Auftrag, und wenn der Zulieferer ihnen den Rabatt gewährt, bekommt er den Zuschlag trotzdem nicht. Das sind ganz klare Wortbrüche, die es in der Form und Häufigkeit vorher nicht gab.

Das sind dann natürlich Eckdaten für einen Aufschwung, die darauf hindeuten, das es sich um ein letztes Aufbäumen handelt … wenn es diesen Aufschwung überhaupt gibt, stellen freche Bloggerinnen ihn doch insgesamt in Frage:

Fassen wir zusammen: Der XXL-Boom in Deutschland ist haltlose Propaganda, ein „potemkinsches Dorf“, das gerade im Wirtschaftsministerium zusammen gezimmert wird. Laubsägearbeiten eines Politikers.

Aufschwung ändert nichts daran, das Armut vorhanden ist und auch ohne Regelsatzleistungskürzung ein tödliches Risiko darstellt, wie das Wiesbadener Tagesblatt berichtet:

Zahlen belegen, wie Mielck zeigte, dass Menschen mit einem niedrigen sozialen Status (geringe Bildung, niedriges Einkommen) heute rund zehn Jahre früher sterben als Menschen mit einem höheren sozialen Status. Nur ein kleiner Teil dieser gesundheitlichen Ungleichheit lasse sich durch das individuelle Gesundheitsverhalten (Rauchen, Alkohol, falsche Ernährung) erklären. Unbestritten sei zwar die gute Gesundheitsversorgung in Deutschland, aber der Zugang zu Gesundheitsleistungen ist vor allem armen Menschen nachweislich erschwert worden. Der Arzt sei heute längst nicht mehr der „natürliche Anwalt der Armen“, wie es Rudolf Virchow einst formuliert hat. Arme hätten weder bei den Parteien, Gewerkschaften oder Kirchen eine nennenswerte Lobby.

Nun – in den Aufschwungphantasien der Laubsägemeister haben Arme keinen Platz und mangels Beitragszahlungen mag man die auch nicht bei Parteien, Gewerkschaften oder Kirchen. Eher sorgt man dafür, das alles so bleibt, die berichtet OTZ.de:

Die soziale Herkunft entscheidet in Deutschland deutlich mehr als in anderen Ländern über die Aufstiegschancen. In kaum einem anderen Industrieland sei die Durchlässigkeit der Gesellschaft so gering ausgeprägt wie in Deutschland, heißt es in einer von der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung am Montag veröffentlichten Studie des Soziologen Reinhard Pollak vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).

Weniger als ein Prozent der Bevölkerung schafft es der Untersuchung zufolge aus einem Elternhaus, in dem der Vater ungelernter Arbeiter ist, selbst in eine leitende Angestelltenposition. Dagegen werden zwei Drittel der Kinder aus einer leitenden Angestelltenfamilie selbst leitende oder hochqualifizierte Angestellte. „Wir sind auf dem Weg zu einer geschlossenen Gesellschaft, in der die soziale Herkunft über beruflichen Erfolg und sozialen Status entscheidet“, kritisierte Stiftungsvorstand Ralf Fücks.

Ginge ja auch nicht, das dem Sohn vom Pfarrer, vom Gewerkschaftsfunktionär oder Parteibonzen die Lehrstelle von einem Hartzer weggenommen wird. Wo kämen wir da hin? Da hält die feine Gesellschaft geschlossen zusammen, beklagt sich nur wohlfeil darüber, das die vom Aufschwung Abgehängten sich auch von Kirche, Partei und Gewerkschaft verabschieden. Diese Lumpen aber auch.

Währenddessen warten die reichen Deutschen laut Swiss-Info auf den Steuerdeal, der es ihnen ermöglichen soll, ihr leistungloses Einkommen weiterhin erfolgreich zu behalten:

Reiche Deutsche, die in der Schweiz Bankkonten haben, die sie vor dem deutschen Fiskus verstecken, hoffen, dass ein neues Abkommen zwischen den beiden Ländern sie vor kostspieligen Strafen verschonen wird.

Und mit dem Geld können Finanzinvestoren wie Ripplewood dann wieder Firmen in den Ruin treiben.

Wo das ganze Geld eigentlich herkommt? Nun – letztlich direkt von denen, die jetzt arm sind.  Alte, Kranke, Behinderte. Meistens sind es Bauprojekte, für die ihnen das Geld aus der Tasche gezogen wird.  Stuttgart 21 ist ja so ein Aufschwungprojekt, wie Lobbycontrol bei Heise darstellt:

Es ist durchaus vorstellbar, dass das Bauvorhaben weniger, wie in der Öffentlichkeit dargestellt, ein verkehrspolitisches Projekt, als ein Bau- und Immobilienprojekt darstellt: Dadurch, dass der Bahnhof unterirdisch gebaut werden soll, werden große innerstädtisch Flächen frei, die sich aufgrund der zentralen Lage in Stuttgart ausgezeichnet vermarkten lassen sollten. Möglich ist also , dass dies der wahre Beweggrund für das Bauprojekt ist, und nicht die zehn Minuten Zeitersparnis für die Bahnverbindung Paris – Bratislava. Die Recherchen von Arno Luik aus dem [extern] Stern haben ergeben, dass der Hamburger Immobilienkonzern [extern] ECE involviert ist und zugleich in der ECE-nahen „Stiftung Lebendige Stadt“ die Umweltministerin Tanja Gönner und der Oberbürgermeister Schuster mitgemacht [extern] haben. Die Stiftung ist ein wichtiges Instrument für die politische Netzwerkpflege von ECE. Ansonsten würden wir gern wissen, welche Investoren noch im Boot bzw. im Gespräch sind und welche weiteren Verflechtungen es gibt.

Was mich nebenbei wieder daran erinnert, nicht so viel von Wikipedia zu zitieren … denn leider macht Lobbycontrol auch da denkwürdige Beobachtungen:

Bei Wikipedia ist feststellbar, dass viele Artikel von PR-Abteilungen der Unternehmen oder anderen Lobbyorganisationen mitgestaltet werden, also doch eine relevante Anzahl von Abhandlungen sozusagen lobbyistisch eingebettet sind.

Aber so wissen wir wenigstens, wo unser Aufschwung herkommt, wo das Geld hingeht, wer alles bezahlt und wer dadurch reich wird … auch wenn bei Stuttgart 21 noch nicht ganz klar ist, wer an dem geplanten Einkaufszentrum alle mitverdient.



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