Zur Vorgeschichte: Es war wohl letztlich meine Frau, die mir wegen meiner andauernden Flammenstöße zum Besuch des Therapeuten Floh geraten hatte. Ich muss zugeben, dass diverse Wohnmöbel und Wände unter meinen Zornausbrüchen mittlerweile zu leiden hatten und große, meist verkokelte Flecken aufwiesen. Am schlimmsten war es zur täglichen Nachrichtenzeit; meine Frau ließ neulich einen extra großen Kamin in unser Wohnzimmer einbauen und stellte den neuen, feuerfest armierten Fernseher mitten hinein. Jetzt beklagen sich nur noch die Nachbarn über die Stichflammen, die ab und zu aus unserem Schlot lodern. Aber es war ja nicht nur der Schaden im Wohnbereich, neuerdings ergreifen viele Passanten heillos die Flucht, wenn sie mich nur sehen. Was ihnen auch feuerfest genug erscheint, sie springen panisch dahinter oder hinein. So kann es nicht weitergehen; manchmal sollen sie ja was für einen tun und dann muss man doch mit ihnen sprechen. Aber was hilfts? Zwischenzeitlich sind in meinem Dorf alle Brandsalbenkontingente ausverkauft. Soviel zur Notwendigkeit, Herrn Floh aufzusuchen.
Herrn Floh, Herrn Theophil Floh, kenne ich bereits seit mehreren Jahrzehnten; wir haben uns bereits gemeinsam köstlich darüber amüsiert, dass unsere Geburtstage fast wie zufällig die gleichen sind. Sein Haus befindet sich stets unter der Krone der jungen Kastanie und seine Wohnung im elften Stock, direkt unter dem Blätterdach, liegt sein Appartement, welches gleichzeitig sein Sprechzimmer ist. Darin selbst ist eigentlich nichts bis auf die zwei Fenster und einem Stuhl Es handelt sich dabei um seinen Multimöglichkeitenraum. In ihm gestaltet sich alles, wie es der Gang der Dinge in ihm erforderlich macht und bildet sich ebenso rasch wieder zurück. Das alles aber ist recht unerheblich. Es befindet sich nämlich immer an seinem Platz nach gleicher Wegeslänge, auch wenn ich umziehe. Man ist sich seit längerem bekannt, begegnete sich aber in all diesen Jahren meist nur zufällig.
Herr Theophil Floh verdankt seinen Namen der Eingebung eines Augenblicks und sein Stammbaum kann stolz hinunterverweisen auf viele, vorchristliche Jahrtausende. Unter seinem mittlerweile schlohweißen, wirren Haar lagen zwei lustigblau strahlende Augen, eingerahmt von einem mächtigen, ebenfalls weißen Bart. Wenn er nur nicht ganz so dünn wäre.
„Scheiß Diät!“ schimpft er unablässig. „Scheiß Diät! Ich kann das überhaupt nicht begreifen wie das geht, mit dieser scheiß Diät!“. Eines Tages aber hielt ich es nicht mehr aus und fragte rundheraus, weshalb er denn eine Diät mache, wenn er doch schon nur noch ein Fädlein im Winde sei.
„Was ist die Botschaft?“ funkelte er mich an.
„Ich jedenfalls sehe und höre die Herrschaften seit jetzt vielen Jahrzehnten von ‚Diäten‘ reden. Seltener von denen, die sie empfangen also solche, die sie dem Steuerzahler verschreiben. Also habe ich für mich entschieden, selbst eine zu machen. Schließlich war ich ein sowieso schon untergewichtig.“
Ich schüttelte verständnislos den Kopf.
„Und nun schauen sie sich doch bloß die Politiker an! Die machen mindestens in zwei Diäten gleichzeitig und nehmen irgendwie prächtig davon zu. Haben Sie letztens mal den Gabriel gesehen? Oder den Beck? Diese Hamsterbacken? Sind die etwa zu leicht? Also was blieb zu tun? Ich habe mir die Empfehlungen der Bundesregierung konsequent zu Herzen genommen und entweder direkt oder doch zumindest analogisch umgesetzt. Ich habe ALLE Steuern bezahlt, ich habe KEINEN Gebührenbescheid bezweifelt, IMMER innerhalb vorgesetzter Fristen geantwortet, bei allen Wahlen konservativ gwählt und möglichst maximal im Investitions- und Produktionsgütermarkt investiert. Alles, was übrig blieb. Verstehen Sie? Alles. Ich nehm sogar an ihren Infoständen ein Fähnchen, ich ekele mich vor nichts.“
Ich erstarrte. Zumal mein Hinterkopf an der Wand angelangt war und Herr Theophil Flohs Nase der meinen bedrohlich näherkam. Manchmal spuckt er beim Sprechen.
„Keine Kohle mehr für Lebensmittel. Okay? Das war es. Haben Sie schon mal versucht, mit einem Radieschen von Freitag bis Sonntag auszukommen? Ja? Ist es da ein Wunder, dass ich so abgemagert bin? Aber was mach ich bloß falsch? Warum sind die so dick und ich so dünn?“
Ich empfahl im noch, das dazu erforderliche „Sondergratifikationszuwendungs“-Element in seine Kalkulation mit einzubeziehen. Die könne er pauschal mit Fug und Recht in Ansatz bringen und fürderhin dem Radieschen eine ganze Pizza, ja geradezu eine Frutti die Mare zum behaglich begrunzten Mahle hinzugesellen.
Und dann empfahl ich mich. Auch hier, im besten Sinne leidenschaftslos, ja achselzuckend, empfehle ich mich und die Leser einer guten Nacht.
© 2010 Echsenwut.