Eva "Taliban" Herman und die Strafe Gottes für die Raver
von bombasstard @ 2010-07-25 – 23:04:32
Wir leben in einer freien Gesellschaft. Zumindest sollten wir das. Wir haben Meinungsfreiheit. Zumindest sollten wir die haben.
Ich weiß, dass es faktisch nicht immer so ist, und dass das ein beklagenswerter Zustand ist. Ich weiß auch, dass das hier in gewisser Weise Jammern auf hohem Niveau ist, da man hier in diesem Land, in dieser Gesellschaft immer noch Freiheiten genießen kann, von denen man in vielen anderen Ländern nur träumen kann.
Eines der Probleme, welches ich hier in unserer Gesellschaft häufiger sehe ist, dass wir zwar auf dem Papier Meinungsfreiheit haben, aber es sehr einfach ist, sich mit einer kontroversen Meinung so sehr ins gesellschaftliche Abseits zu schießen. Dass es faktisch Gedankenverbote in bestimmten Richtungen gibt, die, wenn man sie bricht, gesellschaftlichen und manchmal auch beruflichen Selbstmord zur Folge haben.
Insofern kann ich eigentlich nur den Mut von Personen respektieren, die sich trotzdem trauen, mit unbequemen, seltsamen oder einfach nur kontroversen Meinungen an die Öffentlichkeit zu gehen.
Solche Menschen sind wichtig für eine Gesellschaft, wichtig für Meinungspluralität, wichtig für lebensnotwendige Weiterentwicklung, unabdingbar für eine Zukunft, die nicht in blanker Stasis endet.
Meiner Meinung nach gibt es zu wenige solcher Menschen. Damals, als ich noch konservativ war, habe ich mich oft über die in meinen Augen durch „linksliberale“ Medien geprägte Öffentlichkeit geärgert und im Zweifelsfall immer heimlich zu den „Kontroversen“ gehalten, auch, wenn sie mir suspekt oder sehr grenzwertig vor kam.
Ich weiß nicht, ob ich mich heute nicht selbst als „linksliberal“ bezeichnen würde. Konservativ fühle ich mich definitiv nicht mehr, was vor allem daher kommt, dass viele meiner konservativen (öffentliche, nicht persönliche) Leitbilder der Vergangenheit sich zum größten Teil als starrsinnige, unflexible, hinterweltlerische, betrügerische, intolerante, korrupte, bigotte, idiotische, lernresistente, merkbefreite, feige Schweine erwiesen haben. Nicht jeder verdient alle diese Attribute, aber jeder mindestens eines.
Insbesondere versagen alle Konservativen dabei, wenn es darum geht, eine gewisse Laissez-Faire-Haltung an den Tag zu legen, wenn es um Bereiche geht, die sie verdammt noch mal einen Scheißdreck angehen. Zum Beispiel: wer steckt welches Körperteil in welches andere hinein, wenn beide (oder alle drei! Oder alle vier! Oder noch mehr!) damit einverstanden und über 18 sind. Oder wer sich an Kunstformen erfreut, und damit wirklich niemandem schadet, auch wenn man sie nicht selbst versteht.
Diese Art von Konservativen versteht sich auf einer Art heiligen Krieg, um ein (vielleicht nicht einmal selbst erlebtes) „richtiges Leben“ zum Allgemeingut zu machen. Ob das die Anderen alle wollen oder nicht.
Diese Woche hatten wir gleich zwei Fälle, wo ich nicht anders kann, als mit der großen verbalen Keule aus zu holen. Eigentlich würde ich gern beleidigen. Wirklich. Ich würde gern, weil eine gute zünftige Beleidigung eine wirklich tolle Sache ist, wenn man Dampf ablassen will, aber weiß, dass man eh nicht viel ändern kann. Aber: wir kennen das ja alle, Internet, Abmahnungen, Anwalt, Unterlassungserklärung. Das sind die Momente, wo ich mir wünsche, dass das Internet WIRKLICH ein rechtsfreier Raum WÄRE. Das ist es nicht, also lasse ich das.
Das eine (Stichwort: Merkbefreiung) betrifft die … tief Luft holen … Justizministerin des … Freistaates Bayern (immer noch ein gutes Reservat für alle hinterwäldlerischen, bigotten … ach, lassen wir das), die diese Woche die eine wunderbar einfache Schuldzuweisung für den grauenhaften Missbrauchsfall auf Ameland gefunden hat: das Internet ist Schuld! Und jeder, der Internetsperren für falsch hält, gleich mit. Insbesndere die FDP. Und, nebenbei (wieso auch immer) Killerspieler. Nachzulesen bei Spiegel Online:
http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/0,1518,707877,00.html
Ja, liebe Ex- und Immer-Noch-Konservativen. DIE GEHÖRT ZU EUCH. Da es auch irgendwie leider die „hohe Pforte“, also unsere Kanzlerin-Darstellerin oder sonstige Parteiführungs-Chargen verpasst haben, die gute Frau öffentlich abzuwatschen, maßzuregeln, richtig zu stellen, was auch immer, denke ich mal, dass das immer noch (wenn auch vielleicht heimlich) genau eure Geisteshaltung wieder spiegelt.
Schande über euch!
Ja, und ich habe früher meinen Teil dazu beigetragen, indem ich denen meine Stimme gegeben habe. Schande über mich! Aber ich bin lernfähig. Ich hoffe, andere auch,
So, und was heute den Ausschlag gegeben hat, dass ich mal wieder was schreibe, ist unsere gute alte Eva „Ein-Hoch-Auf-Das-Mutterkreuz“ Herman.
Kurzfassung: Hintergrund Loveparade, 19 Tote, viele Verletzte. Chaos. Fassungslosigkeit. Und die Frage nach der Schuld.
Eva Herman hat sie gefunden, die Antwort nach der Schuld: Die Raver waren Schuld. Diese fürchterliche Veranstaltung wo (Schock!) DROGEN genommen werden, wo (Doppelschock!!) freie Liebe gefordert wird, wo (Dreifachschock!!!) vielerorts Nacktheit und öffentliche (vielleicht auch noch andersartige, oh Vierfachgraus) Sexualität zur Schau gestellt wird, und das Ganze mit primitivem, brutalen Lärm untermalt wird (Zitat: „ohrenbetäubende, stereotype Rave-Gehämmere, das nicht mehr im Geringsten etwas mit dem einstmaligen Begriff von Musik zu tun hat“).
Bitte selbst lesen, und lachen, oder weinen, passt beides:
Besonders schlimm finde ich die Tatsache, dass Frau Herman diese ganze Tragödie in biblische Dimensionen rückt: „Sodom und Gomorrha“ kommt direkt im Titel vor, zwischendurch werden Szenen gefunden, „wie sie in der Bibel beschrieben werden“, es wird die von den Veranstaltern seit 1989 geforderte „Liebe“ in Bezug zu einer „reinen“ Liebe gesetzt, was im millimeterbreiten Horizont von Frau Herman und ihren Gesinnungsgenossen bestenfalls die Liebe von Mann und Frau und Familie bedeuten dürfte, in diesem Kontext aber vermutlich eher die von Hardcore-Christen vielbeschworene „Liebe zu Gott“ sein soll – in beiden Fällen als besonders verabscheuungswürdige Perversion und Missbrauch des Wortes verstanden wird.
Also!
Es ist ein recht einfacher und nachvollziehbarer Reflex, der auch mich in den ersten Paar Minuten des Lesens beider Artikel befiel: „Stopft denen doch mal einer das Maul!“. Gut, so unzivilisiert darf man nur denken, und ich bin mir selbst bewusst, dass das falsch ist. Auch mir würde so mancher gerne das Maul stopfen, zumindest bei dem, was ich hier manchmal schreibe. Und, wie schon oben gesagt, Meinungsfreiheit, und das meine ich ernst. Damit ist auch die Meinung von Frau Herman gemeint, die es zu schützen gilt. Bei Frau Merk sollten andere Maßstäbe angelegt werden, da sie Amt und Würden vertritt.
Und noch ein kleiner Einschnitt von mir: es ist gar nicht verkehrt, wenn Meinungen wie die von Frau Herman geäußert werden. Zumindest hat man dann die Gelegenheit sich mit all der Bigotterie, der Intoleranz und der Kleingeistigkeit öffentlich auseinander zu setzen. Vermutlich wird es sehr, sehr viele Menschen Deutschland geben, die genau dieses Geistes Kind sind. Um so besser, wenn darüber geredet wird. Insofern muss man Eva Herman vielleicht dankbar sein.
So ist es halt, dass man Meinungen tolerieren muss, dass man sie äußern können muss, und dass man sogar dafür kämpfen muss, dass sie geäußert werden dürfen. Und das ist gut so.
Aber das ändert nichts daran, dass man Meinungen auch zum Kotzen finden darf. Dass man sie widerlich finden darf. Dass man die Leute, die sie äußern verachten darf. Das ist dann nämlich MEINE Meinung.
Stefan Niggemeier hat es in seiner schönen Replik so formuliert:
„Dabei darf sie das alles denken und sagen. Und ich darf sie dafür verachten.“
http://www.stefan-niggemeier.de/blog/eva-herman-vermutet-gott-hinter-massenpanik/
Wie auch immer: Ich gehöre zur Hard ’n Heavy-Fraktion. Ich finde Techno und Rave scheiße, und mir gehen auch Raver meistens auf den Sack. Ich wollte nie zur Loveparade, habe sie in Essen und selbst in Spuckweite in Dortmund ignoriert und wollte auch nicht nach Duisburg.
Aber ich fand es immer gut, dass es die Loveparade gibt. So wie sie war. Mit allen Drogen- und Sex-Exzessen. Weil eine undurchlässige, starre Gesellschaft wie die unsere so ein Ventil braucht. So wie wir Metaller Wacken brauchen. Ich fände es wirklich schade, wenn das die letzte Loveparade gewesen sein sollte und wünsche der Raver-Szene, dass sie sich von diesem Schock erholt und wieder etwas ähnlich großes auf die Beine stellt.
Um weiterhin den konservativen Arschlöchern zu zeigen, wie geil das Leben ist!
Dortmund, 100725_2301
B.
Vielen Dank für die Genehmigung an bombasstard