Leben

Loveparade und Gangster – ihr seid unsterblich aber niemals satt … und der Sinn von Nachrichten

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Es sind ja nun einige Menschen bei der Loveparade umgekommen. Da gibt es wieder großes Geschrei und viele viele Worte der Betroffenheit. Nüchterne Menschen fragen sich: warum? Die Zahl der an diesem Wochenende getöteten entspricht dem, was JEDES WOCHENENDE getötet wird.

Jedes Wochenende sterben ein- bis zwei Dutzend Menschen auf deutschen Straßen – nur ist das nie eine Zeile Wert…außer einmal im Jahr eine Statistik. VIERTAUSENDUNDFÜNF TOTE … das wäre mal eine Schlagzeile, die es aber nie geben wird. Früher waren das mal dreizehntausend im Jahr,  die im Dienste der Infrastruktur völlig überflüssigerweise ihr Leben liessen.  Heute freut man sich wie Bolle, das es so wenig sind und man auch dieses Thema bald zu den Akten legen darf.

Das Entsetzen über die Toten funktioniert im Prinzip auch nur, wenn die Menschen nie gelernt haben, das sie sterblich sind, wenn sie den in den Medien indirekt verbreitetem Mythos der eigenen Unsterblichkeit folgen.  Dieser Mythos wird selten direkt erwähnt (aber auch, z.B. bei denen, die es geschafft haben, denen, die sich mit ihrer Lebensleistung ein Denkmal gesetzt haben) aber unterliegt dem beständig überall verbreitetem Unsinn, das die Welt völlig in Ordnung ist, wir schon längst im Paradies leben, das wir beständig weiter verfeinern – mit I-Pods, Blue Ray und Push-up-BH´s.  Die Diagnose Krebs, morgen früh vom Hausarzt überreicht, macht diesem Traum ein schnelles Ende. und entlarvt mit einem Schlag die Lügen, die uns umgeben.

Im Alten Testament finden wir einen Begriff, den die Menschheit landauf landab kennt, einen Begriff, der nur in jenen Ländern verschwunden ist, in denen die Konsumkonzerne die absolute Lufthoheit in den Hirnen erreicht haben.  Dieser Begriff heißt: „Lebenssatt“.  Er bedeutet: soviel vom Leben gehabt zu haben, das man ruhig und friedlich sterben kann, weil es an der Zeit ist.  Manche konnten das schon mit vierzig, da gilt man heutzutage noch als junger Spund.  Heutzutage … ist es aber auch üblich, das man nicht genug vom Leben bekommen kann, weil die Qualität der Nahrung, die wir zu uns nehmen, so erbärmlich ist wie die Qualität der Leben, die wir leben: jedes Detail vorgeplant, jede Lebensäußerung normiert und standardisiert,  jedes Leben ein Fließbandprodukt, designt in den Zentralen der Großkonzerne, die bald auch noch bestimmen wollen, wie wir aussehen oder ob wir überhaupt wert sind geboren zu werden.

Der Tod wurde als störender Faktor aus unserem Leben verbannt. Ist man krank, kommt man ins Krankenhaus, damit das Leiden nicht öffentlich sichtbar wird, ist man alt, kommt man ins Altenheim, damit der Tod nicht öffentlich sichtbar wird,  ist man letztendlich tod, kommt man auf den Friedhof … weit draußen, außerhalb der Stadt, damit einen niemand sehen kann.  Tod und Sterben sind aus dem öffentlichen Raum verdrängt, umso unverschämter und aufdringlich von Gevatter Tod, wenn er sich auf einer Liebesparade blicken läßt.  Und das … genau das! … regt uns so auf.  Das der Tod so einfach den Mythos unserer Unsterblichkeit in einer ganz normalen alltäglichen Partysituation entlarvt, wo wir doch gerade auf Partys das absolute Recht haben uns um die Scheißrealität mal überhaupt nicht kümmern zu müssen.  Eigentlich sind wir bestrebt, das ganze Leben zur Party zu machen … und in den virtuellen Realitäten der Medien ist es ja auch schon so.

Wirtschaftskrise?

Nicht bei uns.

Verarmung?

Alle selbst schuld.

Kriegsgefahr?

So was gibt es nur im Fernsehen. Sowas war nie Realität noch wird es jemals Realität werden.

Klimakatastrophe?

Na ja, die scheint von Anfang an gelogen gewesen zu sein.

Kriminelle Verschwörungen?

Gibt es überhaupt ganz und gar nicht und es ist krank, böse und gemein überhaupt an so etwas zu denken, das ist therapiepflichtig und eigentlich sollte es auch strafbar sein.

Der Kuschelkokon des Wohlstandsbürgers darf nicht angetastet werden, sonst erschrecken die sich.

Für die Loveparade jedenfalls wird dieser Vorfall Konsequenzen haben. Ich schätze mal, folge ich dem Handelsblatt, dann war das die letzte Parade dieser Art:

„So stelle ich mir Krieg vor“

…und…

Petra Vennebusch, die als Videoreporterin vor Ort war, sagte im WDR, die Leute seien aggressiv geworden und hätten versucht, sich Zugang zum Loveparade-Gelände zu verschaffen. „Da war Ärger im Spiel“, sagte Vennebusch. „Viel Alkohol, viel Drogen.“ Die Polizisten seien teilweise überfordert gewesen.

Soll ich jetzt mal richtig fies werden und sagen: Das war von Anfang an geplant?

Es wäre ein Leichtes, daraus eine Verschwörungstheorie zu machen. Anders als bei 9/11, das ohne Verschwörung gar nicht denkbar ist, kann man sich hier sogar noch die Richtung aussuchen. Eine Massenpanik ist leicht erzeugt. Ein Schuss in der Menge, ein Messerstich … selbst ein einfacher Schrei kann genügen.  Und natürlich war das Gelände dann auch zuvor mit Absicht ausgesucht worden, weil der Tunnel eben die meisten Toten versprach.

Die WELT stellt ein solches Denken jetzt als Beispielhaft dar. In einem neuen Artikel berichtet sie darüber, was Manager von Gangstern lernen können.

Gangsterbosse haben ein deutlich größeres Verständnis dafür, dass alle Krisen von den Menschen gemacht sind, die an dem System beteiligt sind. Umso sorgfältiger sorgen sie personaltechnisch vor und umso sorgfältiger beobachten sie die Wettbewerber. Da sie ständig auf überraschend entstehende Krisen eingestellt sind, verstehen sie es einfach besser, im konkreten Fall Teams zu bilden und dagegen vorzugehen. Und wie wichtig ein gutes Risiko- und Krisenmanagement ist, haben wir ja gerade in der jüngsten Wirtschafts- und Finanzkrise gesehen.

Vielleicht sollten wir Gangsterbosse an die Spitze unseres Landes stellen. Menschen, die der Denkmöglichkeit Raum geben, das es Menschen gibt, die Böses planen und ausführen können.  Ich denke ja sowieso, die Zukunft eher den Gangs als der Revolution gehört.  Revolution braucht Intelligenz, Wissen, Träume und Führer – und das alles zur gleichen Zeit. Gangs brauchen viel weniger davon. Und für uns bieten sie zudem noch Vorteile:

Tatsächlich haben die meisten Gangs – wie die meisten Unternehmen – eine Organisationsstruktur mit Arbeitern, die auf Basis von Mindestlöhnen bezahlt werden, einem mittleren Management und einem Vorstand, der das große Geld macht. Und um seine Mitarbeiter zu Höchstleistungen zu animieren, setzt der Gangsterboss ebenso wie gute Firmenchefs unter anderem auf Boni und andere Leistungsanreize.

Denen geht es doch besser als bei der ARGE, oder? Mindestlöhne kontra Ein-Euro-Job. Boni bei guter Leistung….das ist was Anderes als …Bürgerarbeit.

Außerdem fördert der Untergrund eine ganz besonders wichtige menschiche Ressource,  die das Leben selbst erst lebenswert macht: die Aufmerksamkeit:

WELT ONLINE: Würden Sie so weit gehen, dass die psychologischen Fähigkeiten von Gangsterbossen wie J.T., der rund 250 Crackdealern vorstand, bisweilen deutlich höher sind als die der meisten Vorstandschefs?

Venkatesh: Zum Teil trifft das sicher zu, ja. Allein weil im Untergrund ständig Gefahren lauern, auch scheinbare Freunde oder loyale Mitarbeiter sich plötzlich als falsch entpuppen können, muss ein Gangsterboss qua Bestimmung seine Leute kontinuierlich beobachten und jede, auch emotionale Veränderung seismografisch mitschneiden. Davon kann man lernen. Um sich gegen die durchaus beinharte Konkurrenz in der Szene auseinanderzusetzen, ist ein Gangleader zudem ständig dabei, das Potenzial seiner Gangmitglieder abzuchecken – die Besten zu fördern, allerdings auch die Schlechten auszusortieren. Das tun zwar auch Unternehmen, aber oft nicht so kompromisslos wie Manager im Untergrund.

Die wissen nicht nur, das sie sterblich sind, die kriegen das auch mit und glauben daran. Deshalb ist ihr Leben intensiver.

Muß man heutzutage nun wirklich Gangster werden, um Mindestlöhne und fähige Chefs erhalten zu können?

Wir werden es sehen. Mit der Geschwindigkeit, mit der sich das kriminelle Kapital in die Wirtschaft einbringt, werden wir bald alle neue Chefs haben….jetzt schon im Hintergrund, aber bald auch deutlich erkennbar im Vordergrund. Das ist dann eine Entwicklung wie in der SPD: auf einmal gab es Hartz IV und die Meisten waren völlig von der Rolle, während andere die Entwicklung schon vorher gesehen haben.

Das ist ja der Grund, weshalb es Nachrichten gibt, damit auch wir Bürger schon im Vorfeld Veränderungen seismografisch mitschneiden können.

Nur deshalb brauchen uns Nachrichten zu interessieren. Deshalb wäre es eine unglaubliche Entlastung, wenn es einen Ort gäbe, wo Nachrichten auf ihren Gehalt hin destilliert werden und nur noch jene zu uns kommen, die Bedeutung haben. Dann würden wir allerdings niemals von Toten bei der Loveparade in Duisburg erfahren – es sei denn, wie wohnen da und müssen aufräumen.



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