Kolumne

Das Leben der Konsumameise

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Leider verdienen manche unserer Mitgeschöpfe nicht die Art von Aufmerksamkeit, die ihnen zukommt.

Das liegt wohl daran, das der gute Profressor Grzimek nicht mehr unter uns weilt, der uns seinerzeit schon mit den Geheimnissen der Steinlaus vertraut gemacht hat, die heutzutage in den meisten Ausgaben des
„Pschyrembel“ ihren festen Platz hat.

Darum möchte ich an dieser Stelle stellvertretend für den Professor ein Wesen vorstellen, das nur allzuschnell aus unserer Aufmerksamkeit verschwindet, aber den Mensch schon längst von seinem Platz verdrängt hat: die Konsumameise.

Schon von klein auf wird dieses putzige kleine Kerlchen darauf getrimmt, so ziemlich alles in sein Nest zu schleppen, was bunt ist, nutzlos und möglichst viel Müll macht.

So bildet sich sein kleines Nest ganz schnell zu einem Abbild jener großen Nester, die überall im Lande verteilt sind, verbunden durch viele Meilen Asphalt auf denen fleißig große Lastwagen aus aller Welt immer neue Dinge bringen, die in ihr eigenes kleines Nest zu schaffen der große Lebensinhalt der Konsumameise ist.

Wird die kleine Konsumameise dann größer, so wird sie letztendlich natürlich dazu angehalten, möglichst viel an der Produktion der Dinge mitzuwirken, die sie und ihre Artgenossen tagtäglich in ihre immer größer werdende Nester bringen.

Am Besten gefällt es allen, wenn er Maschinen produziert, die diese Dinge noch viel schneller produzieren, als es die einfachen Konsumameisen mit der Kraft ihrer bloßen Hände könnten, denn dies schafft noch viel mehr Dinge, die man in sein Nest schaffen kann … und dann braucht man natürlich auch immer größere Nester.

In seinem emsigen Treiben kümmert sich unser Ameiserich relativ wenig darum, was um ihn herum passiert.
So werden schon mal Flüsse und Seen vergiftet, Landstriche verseucht, Wälder ausradiert – doch das alles kümmert ihn sehr wenig. Wichtig ist ihm, seinen Arbeitsauftrag zu erfüllen und seine wachsenden Nestern mit einer ständig variirenden Zahl von Dingen zu füllen, die unter anderem äußerst bedeutsamen Kriterien wie Mode, Stil und Geschmack unterliegen, wobei der Zeitgeist nicht vergessen werden darf oder das, was gerade „in“ ist.

Die Weibchen der Konsumameisen zeigen hier eine offensichtliche Bevorzugung von künstlichen Häuten und Hufen in allen Formen und Farben, während die Männchen häufiger zu Dingen neigen, die so richtig schön Krach machen … oder wenigstens lustige Geräusche.

Als soziale Kultur zieht die Konsumameise das Miniaturmodell Kleinfamilie oder Einzelgänger vor, weil das ihrem Lebenssinn … dem Anhäufen von Gütern … am ehesten entgegenkommt, denn bei größeren Gruppen würden sich manche Dinge doch doppelt und dreifach anhäufen, und darin sieht selbst die Konsumameise keinen Sinn.

Politisch gesehen wird die Konsumameise am liebsten von einem König regiert, und wo dieser nicht der natürlichen Ordnung entwächst, wählt sie sich einen x-beliebigen alle vier Jahre neu. Vollkommen unwohl fühlt sie sich in demokratischen Strukturen, die Eigenverantwortung und Engagement verlangen, da beide
Erscheinungsformen modernen politischen Verhaltens ihr nur Zeit stehlen, die sie lieber damit verbringt, ihrem Lebenssinn zu frönen.

Äußerst bissig wird unser niedliches Tierchen, wenn sich andere ihrer Art dem Kreislauf des Konsumierens und Produzierens durch bloßes Nichtstun entziehen – es sei denn, das schon die Eltern so viel angehäuft haben, das es für mehrere Leben reicht.

Nichtstun aus Gründen die jenseits von Tod liegen (der ist noch halbwegs akzeptiert) kann sie überhaupt nicht leiden, das widerspricht ihrer Natur vollkommen.

Da kann es auch schon mal vorkommen, das dieses an sich harmlose Geschöpf vollkommen außer sich gerät, so als wäre seine Brut in Gefahr und öffentlich zur Gewalt aufruft gegen die Schmarotzer und Parasiten, die sich dem Produzieren entziehen und den Konsum auf das Lebensnotwendige reduzieren.

Leider findet es sich dann doch oft zu beschäftigt bei der Erfüllung seines Lebenssinns, um diesem Ruf auch wirklich Taten folgen zu lassen.

Auch Krankheit kann dieses Tierchen nicht ausstehen, weshalb es ein kompliziertes System erfunden hat, das äußerst kostspielig ist und an Stelle der Heilung die „Behandlung“ setzte, was ein Begriff ist, der einen Vorgang bezeichnet, der dem Konsumieren und Produzieren wenigstens äußerlich sehr ähnlich ist.

Sehr glücklich sieht es bei diesem Treiben allerdings nicht aus, es fehlen die Gelassenheit, die wir bei Schimpansen beobachten können, die Verspieltheit der Delphine oder der Mut des Stieres, aber etwas anderes hätten wir von Insekten ja auch nicht erwartet.

Kommt es mal in Situationen, wo es nicht Konsumieren oder Produzieren kann, so verfällt es in eine Art Starre, die häufig mit dem Genuß berauschender Substanzen einhergeht, mit dem es diesen unerträglichen Zustand zu überbrücken versucht. Auch das stundenlange reglose Verharren von bilderproduzierenden Maschinen verschafft ihm eine gewisse Erleichterung seiner Leiden, so daß es diese Maschinen als die größte Erfindung seiner Art ansieht.

Es ist einfach wunderbar mit anzusehen, wie jeden Morgen um exakt dieselbe Zeit Millionen von ihnen aufstehen, alle exakt die gleichen Dinge tun (aber, ganz wichtig: mit unterschiedlichen Produkten, darauf sind sie sehr stolz) , bevor sie Millionenfach eilen um ihre winzigkleinen Plätze in der großen Maschine zu besetzen, die sie „Zivilisation“ nennen.

Es wäre noch so viel zu schreiben über jene wunderbare Art, die tagaus tagein im gleichen Trott vor sich hinlebt, ohne sich zu grämen, doch … auch mich drängts jetzt zum produzieren, damit ich danach konsumieren kann.

Man ist halt, wie man ist, oder?



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