Kolumne

Die Fromm’sche Freiheit

Von hier aus gelangen Sie auf die Autorenseite von und koennen alle kommenen Artikel mit "Link speichern unter" abonieren.

Freiheit der Blase, bis zum Platzen zu fliegen

Die Freiheit der Blase

Die Freiheit, seiner, Erich Fromms also, Theorie zu entnehmen, resultiert erst aus der akuten Unfreiheitserfahrung.

Ich selbst bin ja – schon, weil zu jung dafür – kein „68’er“, aber ich kam eigentlich nicht viel zu spät in diese Zeit hinein. Unsere Generation war aus den Leuten erwachsen, die zumindest einen Weltkrieg durchlebt haben und anschließend gelebt haben, woran sie sich erinnerten. Kirche, familiäre Solidarität und eine gute Prise Konservativismus, nicht zu vergessen. Und so hatte man auch an uns, deren Kindern, sein zumeist bestes versucht, unserLeben genauso zu gestalten.

Unsere Welt war eigentlich voll mit: „DAS tut man aber nicht.“

Fromm zufolge kann Kritik an Unfreiheit erst dann entstehen, wenn man diese Unfreiheit selbst er- und gelebt hatte. Erst aus dem konkret Erlebten kann die Erkenntnis dessen, was „Freiheit“ in Bezug auf bestimmte Unfreiheit meint, reif werden.

Wir wurden bereits gemaßregelt, wenn wir gegen „das, WAS man tut.“ mehr oder weniger empfindlich verstoßen hatten. Die Spannbreite dessen, was man besser irgendwie zu vermeiden hatte, war groß; es waren zumeist gesellschaftliche Verpflichtungen, nach welchen es sich zu richten galt.

Übrigens war auch Goethe dieser Ansicht, auch wenn er sich dem Thema von anderer Seite aus näherte. Sein Credo war die Forderung nach einem möglichst hohen Billdungsgrad gewissermaßen als Grundvoraussetzung. Daraus entsteht eine große Distanz, aus welcher man aus ganz anderem Blickwinkel heraus sich, seine Existenz und seine Verbindungen in seinem (sozialen) Netzwerk neu beurteilen kann. Hieraus entspringt dann ein fundamentiertes Urteil und eine sachlich durchargumentierte und daher akzeptable  Forderung nach „Freiheit“.

Nach allem Abwägen, Prüfen und Nachdenken komme ich zu dem gereiften Entschluss, dass ich vorstehender Maßgabe zufolge ein Recht auf „Freiheit“ habe.

Zum großen Entsetzen auch meiner eigenen Kinder bezeichne ich mich oft grinsend als „durchaus frei“; das Maß an Verpflichtungen, denen ich nachzukommen habe, ist frei gewählt und wäre theoretisch durch mich veränderbar – ich müsste dies nur wollen. Solange ich bereit dazu wäre, die daraus resultierenden Konsequenzen als tragbar zu bewerten, stünde mir und meiner Entscheidung doch nichts mehr im Wege.

Oftmals wundere ich mich auch und bin regelrecht verblüfft, wenn ich dem Ergebnis so mancher Paranoia zuhöre. Da wird „abgehört“, da wird „verfolgt“ und vor allem darf man Israel nicht öffentlich kritisieren. Manchmal gerät das zum billigen Spuk; es kommt mir dann vor wie in dem einen oder anderen spirituellen Zirkel bei seinen Sèancen. Man sitzt dazwischen und wundert sich: „Ja, wo isser denn nu, der Dämon?“. Wenn alle diejenigen, die Israel kritisieren wollen und dies nicht tun, weil man dann Repressalien zu befürchten habe, es einfach mal täten. Sie würden sich verwundert umschauen und denken: „Ja, wo isser denn nu, der Dämon?“

Ich habe Unfreiheiten erlebt und ehrlicherweise muss ich zugestehen, dass beileibe nicht alle „das tut man nicht!“ wirklich falsch gewesen sind.  Manchmal haben wir damals Grenzen eingerissen, deren Beachtung uns nichts gekostet hätte. Sind diese Grenzen einmal gefallen, können sie niemals mehr errichtet werden.

Aber sei’s drum: wir leben tatsächlich in der realen Welt der nahezu maximalen Freiheit. In dieser Gesellschaft existieren Infostände recht- wie auch linksradikaler Kräfte und das ist gut so; dadurch beweist diese Gesellschaft ihre Tauglich- und Verträglichkeit. Sie beweist auch, dass ich mich selbst keiner konkreten Gefahr aussetze, bloß weil ich etwa an einem solchen Stand stehenbleibe und mich informiere, worüber auch immer. Ich darf das auch alles drucken, haben und sogar verteilen, wenn es nur jemand haben wollte. Im Internet gelingen mir alle erdenklichen Beiträge zu allen möglichen Themen; sie sind oft galligen, manchmal beissenden, aber grundsätzlich immer beherztem und offenen Gemüt. Bisher habe ich noch keine Verfolgung seitens staatlicher Behörden registriert. Weil: ich darf das.

Und wo ich Gefahr laufe zu verlieren, was ich noch heute darf, muss ich an die erworbene „Freiheit“ denken und sie mehr als Verpflichtung nehmen denn als Recht.

Weite Teile der (erheblich) jüngeren Generation scheinen sich für meine Begriffe einer anderen Definition zu bedienen: „Freiheit heißt: frei sein von allen Verpflichtungen.“ dem manche noch leise ein: „Und Leistungserwartungen.“ hinterhermurmeln. Wenn ich also höre, dass sie „Freiheit!“ wollen dann muss ich fragen, welche Unfreiheiten sie kennen. Da sie aber meist über zu wenig Lebenserfahrung verfügen um einen solchen Erfahrungshorizont hergestellt haben zu können, kommt da meist nicht sehr viel. Einigen sind nahezu sämtliche Grenzen und: „das tut man nicht.“ genommen oder gar nicht erst gegeben worden. Und zu meinem größten Leidwesen lassen auch universitäre Bildungsgrade allzuoft schmerzlich einen höheren Kompetenzgrad an kultureller Bildung vermissen. Sie mögen wunderbar in ihrem Fach sein, menschlich jedoch lassen sie immer mehr zu wünschen übrig.

Also: was eigentlich ist „Freiheit!“ genau?

Dem Historiker diese Frage gestellt, lächelt dieser sofort glücklich und weiß viele Geschichten sogenannter „Freiheits“-Kriege zu erzählen. In jeder Epoche hat es sie gegeben und überall; Bürger standen gegen ihre Regierung auf, droschen sie nieder, gründeten ihre eigene, kontrollierten das Land mit ihren Unfreiheiten und wurden selbst wieder fort- und totgeprügelt. Sie schlugen und stachen von der Frühantike bis in die Neuzeit auf diejenigen ein, die vermittels gezielter Unfreiheiten ihre Leute disziplinieren und effizienter einsetzen konnten.

Es sind diese Dinge, vor denen wir uns solange halbwegs sicher fühlen können, solange wir auf einen gewissen Konsenz mit allgemeiner Gültigkeit verlassen können.  Dem muss sich aber wenigstens vorübergehend derjenige unterwerfen, der sich Kritikfähigkeit im Hinblick auf die Gesellschaft erarbeiten will.

Jede Generation erarbeitet sich neue Grenzen, die es einzureißen gilt und sie erwirbt sich immer meinen größten Respekt, wenn ich hinter konkreten Plänen für solch einen Grenzabriss auch gut durchdachte Argumente und Ideen finde, mit denen ein solches Projekt gelöst werden kann.

Noch jedenfalls, noch bin ich recht frei. Ihr auch?

© 2010 Echsenwut.



Die letzten 100 Artikel