Politik

Wachstumsbeschleunigungsgesetz

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Gestern hatte ich einen sehr schönen Abend. Ich hatte einen Heiterkeitsanfall nach dem anderen, der sich nur mit Mühe unterdrücken ließ. Schuld daran war nicht etwa ein lustiges Buch, eine witzige Gesellschaft, sondern: die Politik.

Ihr gelange es mein Gemüt mit einem einzigen Wort stundenlang zu erheitern und noch immer schleicht sich ein Grinsen in mein Gesicht, wenn dieses Wort in meinem Geiste auftaucht. Über die Lippen bringe ich es noch nicht …. denn dann bricht das Gelächter wieder aus mir heraus und das ist schlecht fürs Tippen.

Dieses Wort ist: Wachstumsbeschleunigungsgesetz.

Wirklich: selten so gelacht. Dabei kannte ich den Inhalt noch gar nicht.

Für wie blöd muß man den Bürger halten, das man meint, er würde glauben, es gäbe ein Gesetz, das irgendetwas befehlen kann, sein Wachstum jetzt zu beschleunigen. Außer natürlich die Staatsschulden, deren Wachsen wird nun wieder beschleunigt.

Und wie immer merkt man, das Politiker vom Alltag des Volkes keine Ahnung haben:

http://www.taz.de/1/zukunft/wirtschaft/artikel/1/union-kritisiert-eigenes-gesetz/

„Das Gesetz ist sozial ausgewogen“, sagte dagegen CSU-Finanzexperte Hans Michelbach. Er verwies darauf, dass das um 20 Euro erhöhte Kindergeld allen Beschäftigten zugutekäme. Bei Hartz-IV-Beziehern stimmt dieses Argument oft nicht – in diesen Fällen wird das höhere Kindergeld mit der Stütze verrechnet.

Diejenige Volksgruppe, die jede Unterstützung am ehesten in Konsum umsetzen würde, bekommt erstmal überhaupt nichts … obwohl es dem Einzelhandel egal wäre, wer denn da jetzt für sein Überleben sorgt.
Sogar im Lidl soll es mitlerweile schlecht bestellt sein.

Das schöne an dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz ist nun aber nicht nur das Wort an sich, auch der Inhalt sorgt für Unterhaltung:

Mit der Reduzierung der Mehrwertsteuer für Übernachtungen wollen vor allem CSU-Chef Horst Seehofer und FDP-Vorsitzender Guido Westerwelle Nachteile für deutsche Hotels in grenznahen Gegenden beseitigen.

„Reduzierung der Nachteile für deutsche Hotels in grenznahen Gebieten….“ das wäre doch einen Wahlkampfspot wert gewesen. „Wählt uns! Wir sorgen als einzige Partei für die Rettung des deutschen Hotels in grenznahen Gebieten!!!“ Denn immerhin: an den deutschen Hotels in grenznahen Gebieten hängt die Zukunft der gesamten Bundesrepublik, das darf man nie vergessen. Das deutsche Hotel in grenznahen Gebieten gehört zu den unverzichtbaren Grundpfeilern der freien deutschen Marktwirtschaft, die Bedrohung ihrer Existenz gilt als Angriff auf die freiheitlich demokratische Grundordnung und gefährdet Aufschwung und Wachstum des Landes in kaum abzuschätzendem Maße.

Der Traum von der Vereinfachung des Steuerrechtes ist damit ausgeträumt.

Die Finanzpolitiker von Union und FDP stört vor allem, dass damit eine weitere Ausnahme hinzukommt. „Skilifte ermäßigter Steuersatz – Babywindeln voller Steuersatz, Tierfutter ermäßigt – Arzneimittel voll“, beschreibt Kolbe die Widersprüchlichkeit der Mehrwertsteuer. Jetzt drohten „neue bürokratische Auswüchse“.

Das ist Deutschland im Jahre 2009, dem Jahr der weltweiten Finanzkrise: wir fördern Skilifte, Tierhalter und Hotels in grenznahen Gebieten. Hört sich bescheuert an … aber wir sind halt so.

Dabei könnte ein Reduktion der Mehrwertsteuer auf Arneimittel (die ja sowieso schon von unseren Beiträgen bezahlt wurden) doch die Preise deutlich senken … und damit könnte man sogar dem Sozialbudget einen Gefallen tun.

Auch das Handelsblatt mag dieses Gesetz nicht: dabei sollte es doch gerade die Wirtschaft erfreuen:

http://www.handelsblatt.com/meinung/kommentar-politik/wachstumsbeschleunigungsgesetz-geldverbrennung-aus-zynischem-machtinteresse;2494509

Geldverbrennung aus zynischem Machtinteresse
Wider besseres Wissen verschleudert die Koalition Milliardensummen. Die schwarz-gelb regierten Bundesländer sollten diese rücksichtslose Klientelpolitik

Komplett abwegig ist die verringerte Mehrwertsteuer fürs Hotelgewerbe. Die Hoteliers haben bereits angekündigt, dass sie das Geld nicht an ihre Kunden weiterreichen, sondern in die eigenen Taschen stecken. Es wird also keinerlei Nachfragesteigerung erreicht. Das als Teil eines „Wachstumsbeschleunigungsgesetzes“ zu bezeichnen ist eine Provokation für jeden rational denkenden Menschen. Während trotz aller Versprechungen über die „Bildungsrepublik“ das Geld für Schulen und Hochschulen nicht reicht, wird hier kurzerhand eine Milliarde Euro einer Lobbygruppe hinterhergeworfen.

Ja, aber Leistung soll sich doch wieder lohnen? Und wir leisten uns soviele Lobbyisten, das muß sich doch auch mal bezahlt machen, oder?

Nun, auch die versprochenen Geschenke für Besserverdiener werden nicht viel bringen – außer Geld für Banken und Börse.

http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,665188,00.html

Die Gutverdiener werden sich über das zusätzliche Netto sicher freuen. Nur werden sie kaum die ihnen zugedachte Rolle der Konsum- und Konjunkturlokomotive übernehmen. Fast alle seriösen Studien zeigen, dass Menschen, die mit ihrem Einkommen alle Grundbedürfnisse bedient haben, ein zusätzliches Einkommensplus nicht in die Kaufhäuser bringen, sondern in beachtlichem Umfang aufs Konto stecken. Und selbst wenn sich die ein oder andere Familie in den besseren Stadtteilen für einen neuen Plasmafernseher entscheidet – von einem solchen Einkauf profitiert vor allem der Hersteller in Asien.

Mutti Merkel murkst Marktwirtschaft.

Dabei geht es ihren Bürgern schlecht, sie haben Angst. Und diese Angst hatte schon einmal schreckliche Folgen.

http://www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/die-angst-vor-dem-absturz-waechst/

Gerade wer sich direkt von der Wirtschaftskrise betroffen fühle, neige eher dazu, vorurteilsbeladen Unterschiede zwischen Menschengruppen zu behaupten und Solidarität aufzukündigen. Das zeigt dieses Phänomen: „In Zeiten der Wirtschaftskrise können wir es uns nicht leisten, allen Menschen die gleichen Rechte zu garantieren“ – dieser Aussage stimmten immerhin 35 Prozent der Menschen zu, die von sich sagten, selbst von der Krise betroffen zu sein

Das ist die Grundlage für Hetze gegen jedermann, den man gerade als wirtschaftlich oder politisch schwächer empfindet: da haben einige Leute gehörig die Hose voll. Dabei ist man sich in diesem Lande eigentlich ziemlich sicher, wer den schwarzen Peter in der Hand hat:

Drei von vier Menschen in Deutschland sehen Fehler im kapitalistischen Wirtschaftssystem. Dass Banker und Spekulanten schuld an der Krise sind, glauben fast 90 Prozent der Befragten. 80 Prozent waren der Ansicht, dass „Leute wie ich“ für die Fehler der Wirtschaft und Politik geradestehen – und letztlich die Wirtschaftskrise ausbaden müssten.

Sich mit den Verursachern der Krise anzulegen, ist den Krakeelern und Schreihälsen in diesem Land allerdings zu heikel. Lieber greifen sie auf ganz alte Reaktionsmuster zurück.

Trotz der Wirtschaftskrise haben die Ressentiments in der Gesellschaft gegen Frauen, Muslime, Obdachlose, Behinderte, Langzeitarbeitslose, Nichtweiße und „Ausländer“ im vergangenen Jahr nicht zugenommen, zum Teil sogar abgenommen. Aber es gibt zwei Ausnahmen: Vorurteile gegen Homosexuelle und gegen Juden sind etwas häufiger geworden.

Also … die Juden warens mal wieder. Und die Homosexuellen. Was wohl der Guido dazu sagt?

Wenn ich mir aber so anschaue, gegen wen „das Volk“ so alles Vorurteile hat … dann muß ich feststellen, das „das Volk“ selbst wohl nur eine kleine, verblödete männliche, weiße Minderheit von „gerade noch nicht aber bald“ Langzeitarbeitslosen darstellt.

Heitmeyer warnte: Es drohe die Gefahr, dass die aus der Finanzkrise entstandene Wirtschaftskrise zunehmend zu einer Fiskalkrise und schließlich zu einer Gesellschaftskrise werde. Dies aber könne Folgen für das demokratische System insgesamt haben. Auch die Spaltung der Gesellschaft schreite immer weiter voran.

Und das kann man täglich sehen:

http://www.welt.de/politik/deutschland/article5429365/Chaoten-attackierten-auch-das-Kanzleramt.html

In Hamburg war bereits am Donnerstagabend eine Polizeiwache im Schanzenviertel von Vermummten angegriffen worden. Sie warfen mit Steinen mehrere Fensterscheiben ein und setzten vor dem Polizeikommissariat 16 zwei Streifenwagen in Brand. Am Freitagmorgen wurden überdies im Stadtteil Hammerbrook zwei Dienstfahrzeuge des Zolls angezündet, wie ein Polizeisprecher berichtete.

Der SPD-Landesvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Olaf Scholz sagte, es sei erschreckend, dass sich Straftäter trauten, eine Polizeiwache anzugreifen. „Das sind Vorfälle, die wir aus Hamburg wie aus ganz Deutschland bisher nicht kennen.“

Aber die Hotels in grenznahen Gebieten sind jetzt sicher. Das rettet einem den Tag.



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