Neben utopischen bzw. häßlichen Zukunftsvisionen gibt es ja noch ganz andere, einfache, pragmatische: den Weg der Isländer.
Der ist viel pfiffiger … nur halt schwerer durchzusetzen. Ist viel mehr Arbeit als einfach in die Barbarei zu versinken – denn für Letzteres muß man einfach nur auf dem Sofa sitzenbleiben. Das kommt dann ganz von alleine.
Die Isländer jedoch … proben den Aufstand – ganz zivilisiert.
http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,682001,00.html
Islands Bürger rebellieren gegen die Banker-Elite
Alle Welt spricht von Griechenland, das erste Opfer der Finanzkrise aber war ein anderer Staat: Island. Das Land hat Milliardenschulden, pro Kopf sind es 11.000 Euro. Jetzt stimmen die Bürger ab: Sollen die Gläubiger im Ausland entschädigt werden? Ein Ja käme teuer, ein Nein isoliert das Land.
11000 Euro pro Kopf? Ist ja geradezu lächerlich. Da halten wir Deutschen aber locker mit: 20000 Euro und mehr, das ist unsere Marke.
Wir verstehen wahrscheinlich gar nicht, warum die sich so aufregen, diese Isländer. Immerhin haben wir viel mehr Schulden als die – und wir machen doch auch nicht so einen Aufstand.
Na ja … die sind halt Wikinger. Abenteuerlustig, pragmatisch, wagemutig, geschäftstüchtig. Ich weiß nicht, welche Qualitäten der Deutsche an sich so hat, aber die von Wikingern kenne ich.
Die haben zum Beispiel auch Humor:
Lange arrangierten sich die Isländer mit der tiefen Krise des Landes. Man schnallte den Gürtel etwas enger und machte irgendwie weiter. Der sogenannte „Kreppahúmor“, Witze über die Finanzkrise, sollen das Land gar zu einer humoristischen Blüte geführt haben, heißt es. In einer Reykjaviker Bar kleben die Portraits berüchtigter Finanzhaie in den Pissoires der Toiletten.
Den Ackermann auf dem Bahnhofsklo von Bielefeld … das ginge ja aber mal gar nicht. Aber den Isländern ist jetzt auch jede Lust vergangen, da weiter mitzuspielen:
Doch in letzter Zeit scheint selbst den hart gesottenen Isländern der Sinn für Witze abhanden zu kommen. Der Schuldenberg ist gigantisch, und die neue Regierung unter Sozialdemokratin Jóhanna Sigurdadottir brachte das Icesave-Gesetz durchs Parlament, statt es zu verhindern. Dabei hatte die Koalition aus Sozialdemokraten und Linksgrünen die Macht vor einem Jahr gerade deshalb übernommen, um mit den alten Verhältnissen aufzuräumen. Bisher regierten die Nationalkonservativen – eine Partei, die viele Isländern als Sinnbild für Vetternwirtschaft, Gier und damit als Nährboden der isländischen Misere betrachten.
Tja, denen geht es jetzt wie uns: verarschen uns mal nicht die Rechten, dann tun es eben die Linken. Das nennt man weit dreißig Jahren „Diktatur der Kapitalmärkte“, das scheint den Wikingern aber egal zu sein.
„Lever düd üs slav“ … lieber Tod, als Sklave sein, lieber als Held sterben denn als Feigling krepieren – eine Ethik, der mit den Mitteln von Lobbyismus und Korruption nicht mehr beizukommen ist.
Das „Icesave-Gesetz“ verpflichtet die Isländer, für die Schulden der Banker aufzukommen. Ich weiß nicht, was die haben: wir haben doch auch locker mal 100 Milliarden in die HRE gesteckt …und die regen sich so auf?
Die Volksabstimmung ist deshalb ein allgemeiner Ausdruck des Protests. Wie sonst sollten sich die Bürger wehren? Welche Partei sollten sie wählen, um Veränderung zu erreichen? Die Opposition wird derzeit von den Nationalkonservativen angeführt. Und der heutige Finanzminister Steingrimur Sigfússon von den Linksgrünen verteidigt in den Augen vieler Isländer eher die Interessen der Gläubiger als die des gebeutelten Volkes. So wird der Widerstand immer wütender. Und manchmal auch gewalttätig.
Lange blieb es bei Anschlägen mit roter Farbe auf Gebäude, in denen berühmte Banker wohnen. Mittlerweile jedoch wird auch mit Salzsäure gespritzt. Eine Unternehmerin hatte einfach nur Glück, als sie kürzlich bei einer solchen Attacke nicht ernsthaft verletzt wurde. Der ehemalige Chef der Kaupthing Bank entging nur knapp einem ähnlichen Anschlag.
Dabei glaubt niemand ernsthaft an echte Veränderung. Das Referendum ist vor allem eine symbolische Demonstration – gegen den Bankerkapitalismus und gegen Islands Machtelite. Die meisten Isländer wissen: In irgendeiner Form wird das Icesave-Gesetz zustande kommen, dafür wird der internationale Druck schon sorgen.
Aber die Bürger wollen nicht einfach resignieren. Sie wollen wenigstens ihre Stimme erheben.
Nicht nur ihre Stimme, wie man liest. Manche scheinen ja richtig nach alter Wikingerart loszuziehen und für Ordnung im Land zu sorgen.
Und die Griechen?
Ganz ganz alte Kulturnation. Tolle Leute. Demokratie, Atheismus, Lebenskunst … haben sie alles erfunden. Philosophie als Weg zum Glück war dort Alltag … auch wenn unsere deutschen Beamtenphilosophen dort nicht glücklich geworden wären. Man war gewzungen … mit dem Volk zu reden. Wir gräßlich. Noch nicht mal Diogenes in seiner Tonne war sicher.
Keine Wikinger … aber auch aktiv:
http://de.rian.ru/world/20100223/125213614.html
ATHEN, 23. Februar (RIA Novosti). Streikposten vor der Fondsbörse in Athen haben am Dienstag gegen Anti-Krisen-Maßnahmen der griechischen Regierung protestiert.
Die Protestteilnehmer haben drei Eingänge zur Börse in der griechischen Hauptstadt blockiert. Die Streikenden riefen Parolen gegen die „Kapitalisten“ und hielten Plakate „Plutokratie muss für die Krise zahlen“, teilen griechische Fernsehsender mit.
Organisator der Kundgebung ist die Gewerkschaft RAME, die mit den griechischen Kommunisten zusammenarbeitet. Die Börse konnte dennoch ihre Arbeit fortsetzen, weil die Trader über das Netz Zugang zur Börse haben.
Am Mittwoch soll in Griechenland ein Generalstreik gegen die Regierungspolitik stattfinden.
Na ja, das wären dann doch schon mal praktikable Alternativen. Flashmob vor der Frankfurter Börse, ein wenig Farbe für Deutsche Banker (sehen ja eh´ oft etwas blaß aus) … das würde geschehen, wenn … wenn hier Wikinger und Philosophen leben würden.
Aber … wer lebt eigentlich hier, was sind denn die Tugenden der hier neu vereinheitlichten Deutschen?
Na ja, manche Blogger sind da schon einfallsreich:
http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,681822,00.html
Bloggerin bedrängt Bankchef Nonnenmacher wegen 24 Euro
Die Hamburgerin Kirsten Brodde hat die HSH Nordbank überfallen: Sie marschierte in eine Filiale des Kreditinstituts und forderte eine Barauszahlung – von Bankchef Dirk Jens Nonnenmacher persönlich. Denn dessen Millionenbonus stehe eigentlich den Bürgern zu.
Ihre Argumentation … ist bestechend:
Die Aktivistin Kirsten Brodde wusste vorher, dass es Ärger geben würde. Und sie hatte auch „ein wenig Bammel davor“, gibt sie zu. Aber ihr Zorn auf den Bankchef sei größer gewesen: „Herr Nonnenmacher hat einen Bonus von 2,9 Millionen Euro eingesackt, obwohl die Stadt seine Bank mit Milliarden gerettet hat. Dieses Geld fehlt nun, und die Bürger leiden darunter.“ Die HSH Nordbank musste vor einem Jahr von Hamburg und Schleswig-Holstein vor dem Untergang bewahrt werden – mit einer Kapitalspritze von drei Milliarden Euro und Bürgschaften in Höhe von zehn Milliarden Euro. Das hat die ohnehin desaströse Haushaltslage der Länder zusätzlich belastet.
Brodde hat sich konkret einen Posten aus dem Haushalt der Hansestadt ausgesucht – die Preiserhöhung im Öffentlichen Nahverkehr. „Ein Einzelfahrschein kostet nun fünf Cent mehr, das macht bei zwei Fahrten pro Tag aufs Jahr hochgerechnet 24 Euro. Dieses Geld möchte ich von Herrn Nonnenmacher wiederhaben.“
Genial. Eine Million Leute dieses Kalibers … und das Land würde sich verändern. Müßte sich verändern, denn: wie auch die Isländer merken wir doch alle: es ist egal, wen man nach Berlin schickt. Die müssen alle gehorchen.
Aber wir Deutschen sind … ja was denn eigentlich?